Die göttliche Opferspeise


Alter und Neuer Bund

Wir wissen ja, daß der Alte Bund eine Vorläuferfunktion in Bezug auf den Neuen Bund ausübt, ähnlich wie Johannes der Täufer der Vorläufer und Wegbereiter Jesu Christi war (vgl. Joh 1,23). Dieser Sachverhalt wird auch schon durch die Bezeichnung „alt - neu“ indirekt zum Ausdruck gebracht. Im Einzelfall ist es oft sehr ergreifend zu betrachten, wie beide Testamente aufeinander abgestimmt sind. Man ist immer wieder positiv überrascht, wie trefflich der Alte Bund auf den Neuen hinweist, und wie auf der anderen Seite der Neue Bund ganz vorzüglich die Prophezeiungen des Alten erfüllt. Daraus erkennt man, daß das Alte und das Neue Testament nicht im Widerstreit zueinander stehen, sondern harmonisch aufeinander bezogen sind. 

Dabei kann allerdings der Alte Bund keine berechtigte Legitimation ohne den Neuen Bund aufweisen, er findet erst in der neutestamentarischen Offenbarung seine Vollendung und Erfüllung! (Besonders der Evangelist Matthäus verweist häufig auf das Alte Testament und auf dessen Erfüllung in den neutestamentarischen Heilsgeschehnissen.) Diese tiefgreifenden Zusammenhänge lassen nebenbei auch erkennen, daß das Offenbarungswerk Gottes keine menschliche Erfindung, keine Frucht menschlicher Phantasie sein kann! Bei der Behandlung unseres Themas über die Liturgie hatten wir schon wiederholt die Prototypen des Opfers der Heiligen Messe im Kult des Alten Testaments kennen gelernt. Da das Opfermahl - wie bereits herausgearbeitet - ein wesentliches Element des Opfers selbst ist, lassen sich in den Büchern des Alten Testaments ebenfalls Ereignisse und Einrichtungen finden, die eindeutig als „Vorläufer“ des Opfermahles der neutestamentarischen Liturgie zu verstehen sind. Dieser Rekurs auf den Alten Bund wird uns dann auch behilflich sein, den Zweck der Einsetzung der Heiligsten Eucharistie durch Jesus Christus vertieft zu erkennen. 

 

Das Manna in der Wüste

Das eigentlich zentrale Ereignis der Heilsgeschichte für das alttestamentarische Volk Israel war zweifelsohne der Auszug aus Ägypten, dessen Gedächtnis jährlich beim Paschafest feierlich begangen wurde. Dieser Auszug, verbunden mit der Wanderschaft auf dem Weg ins Gelobte Land ist ein Bild für die Lebenswanderschaft des Menschen. Jeder von uns sollte - so die Absicht Gottes - aus der geistigen Knechtschaft und Versklavung, aus der Niederung der Sünde und Gottesferne in Richtung des heiligen Berges Sion im geistigen Jerusalem aufbrechen, um „an der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes teilnehmen“ zu können (Röm 8,21). 

Nur war für die Israeliten dieser Auszug aus Ägypten ziemlich anstrengend und auch gefährlich. Kein Wunder - es ging durch die Wüste! Während dieser Zeit ist ihnen Gott oft in wunderbarer Weise beigestanden und hat sie nicht zugrunde gehen lassen. So sorgte Er bei verschiedenen Gelegenheiten für das Volk, so z.B. für das Trinkwasser oder für Abkühlung in der Hitze, oder Er beschützte sie gegen äußere Feinde (vgl. Durchzug durch das Rote Meer). Beim Aufbruch in Ägypten hatte das Volk “Schafe und Rinder, eine gewaltige Menge Vieh“ mitgenommen (Ex 12,38), doch schon bald murrten sie wegen Hungerns in der Wüste gegen Moses und Aaron und sehnten sich nach den „Fleischtöpfen“ Ägyptens zurück (Ex 16,2f.). Auch da ließ sie Gott nicht im Stich und sandte ihnen durch ein Wunder Wachteln und Manna. Und dieses Manna bildet einen gewissen Höhepunkt im Helfen und Beistehen Gottes auf der Wanderschaft des Volkes durch die Wüste. Alle anderen Hilfeleistungen wurden ihnen von Gott nur jeweils einmal und auch nur für kurze Zeit gewährt. Dagegen „aßen die Israeliten das Manna vierzig Jahre lang, bis sie in bewohntes Land kamen, ... bis sie die Grenzen des Landes Kanaan erreichten“ (Ex 16,35), d.h. praktisch die ganze Zeit! Die Nahrung ist für uns, Menschen, lebenswichtig, ohne sie können wir (physisch) nicht überleben! Die allererste Tätigkeit der Menschheit gilt ihrer Beschaffung und Zubereitung. Dabei war es auch dem Volk Israel bewußt: manchmal kann sich der Mensch noch so sehr um die leibliche Nahrung bemühen - nur Gott, und zwar Er allein, gibt Wachstum! Allerdings muß der Mensch selbst auch arbeiten, muß dazu beitragen, daß sein Täglich-Brot wachsen, und er es später ernten kann. 

Bei diesem biblischen Manna verhielt es sich aber so, daß es die ganze Zeit jeden Morgen vom Himmel herunterfiel: „Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen“ (Ex 16,4). Egal, wieviel Manna der einzelne Israelit einsammelte, jeder hatte beim Abmessen nur so viel, wie er für seinen täglichen Bedarf brauchte (vgl. Ex 16,17f.). Nur am Vortag des Sabbats sollte immer das doppelte Maß eingesammelt werden. Das Besondere an diesem Manna war eben, daß es reines Geschenk Gottes war, entstanden ohne jegliche menschliche Mitwirkung und Beteiligung! Israel konnte es in keinster Weise sich selbst zuschreiben: „Das ist das Brot, das euch der Herr zu essen gibt“ (Ex 16,15)! Damit sollte die ganzheitlich liebevolle Fürsorge Gottes zum Ausdruck kommen, die Er Seinem Volk angedeihen ließ - Er hegte und pflegte Israel wie eine Mutter ihr kleines hilfloses Kind! 

 

Das himmlische Manna

Das Manna, das Gott den Israeliten schenkte, war eine Nahrung des Leibes; sie war wichtig, damit sie nicht auf dem Weg ins Gelobte Land dem Hunger erlägen. Und dennoch - sagt Jesus - sind „eure Väter in der Wüste gestorben“ (vgl. Joh 6,49). Dadurch weist dieses Manna auf eine andere, geistige Speise hin, derer der Mensch bedarf, um nicht geistig zu entkräften und zu sterben! „Bei diesem Brot, das vom Himmel kommt, ist es so, daß man davon ißt und - im Unterschied zum alttestamentarischen Manna - nicht stirbt. ... Wer von diesem Brot ißt, wird leben in Ewigkeit“ (6,50f.). Jesus spricht hier eindeutig von der eucharistischen Speise und versteht „leben“ und „sterben“ im höheren religiösen Sinn. 

Der Grund für diese „Unsterblichkeit“ liegt darin, daß Er selbst - und nicht irgendein anderer von Ihm verschiedener Gegenstand - dieses „Brot des Lebens“ ist (6,48)! Indem sich nun Christus uns in Seinem Leib und Blut schenkt, erfüllt Er uns mit Seinem Leben, das uns dem geistigen Tod entreißt! Wir werden Gottes teilhaftig, wir bekommen - um es noch deutlicher auszudrücken - Anteil an der Göttlichkeit des Einen Heiligen Gottes! Bedenken wir, Wessen wir gewürdigt werden! In dem wunderbaren eucharistischen Hymnus „Adoro te devote“, „voll tiefer Empfindung und dichterischer Schönheit, meist Thomas von Aquin zugeschrieben“1, wird Jesus Christus als „pie pelicane - O guter Pelikan“ bezeichnet. „Im Zusammenhang mit der dem Pelikan vom Physiologus2 zugeschriebenen Fähigkeit, seine toten Jungen durch Öffnen der rechten Seite seiner Brust und Besprengen mit dem daraus fließenden Blut wieder zum Leben zu erwecken, wird der Pelikan von Augustinus (Enarr. in Ps. 101,8) sowie von mittelalterlichen Kirchenschriftstellern als Symbol des leidenden Christus gedeutet.“3 Es ist verständlich, warum der Pelikan seit dem Mittelalter auch als ein Symbol des eucharistischen Heilands auftritt: Er öffnet Seine Seite und teilt uns in Seinem eigenen Leib und Blut Sein göttliches Leben mit! Und dieses Gnadengeschenk Gottes haben wir wohlgemerkt durch nichts auf der Welt verdient - es ist reine Gnade und süße Herablassung des barmherzigen Erlösergottes! 

Wie die alttestamentarischen Israeliten, so befinden auch wir uns auf einer Wanderschaft. Durch das Sakrament der Hl. Taufe aus der Knechtschaft der Sünde und des Teufels befreit, mit der Kraft des Heiligen Geistes ausgerüstet, gehen wir unseren Weg dem himmlischen Vaterland entgegen! Wie oft sind wir aber auf dieser Wanderschaft kleineren oder größeren Gefahren ausgesetzt, wie oft der lebensbedrohlichen Entkräftung nahe? Sind nicht bisweilen auch unsere stillen Seufzer, zum Himmel gerichtet, zu vernehmen, Gott möge doch uns, den armen und schwachen Geschöpfen, helfen und in unserer Not beistehen? 

Und Gott hört auf unsere flehentliche Bitte, auch wenn wir dies oft nicht gebührend beachten! Er reinigt uns im Sakrament der Hl. Buße, Er schenkt uns in den Standessakramenten Seine göttliche Gnade, Er erneuert uns im Heiligen Meßopfer und Er stärkt uns mit der kräftigsten und nahrhaftesten Speise, die es überhaupt gibt - mit Seinem eigenen Leib und Blut! Wie der Prophet Elias auf der Flucht vor seinen Feinden völlig deprimiert von Gott durch einen Engel mit einem gerösteten Brotfladen und einem Krug Wasser wieder gestärkt wurde, so werden auch wir durch die Hl. Eucharistie von Christus immer wieder aufgerichtet: „Er stand auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb“ (3 Kön 19,4-8)! Daher heißt es in einem eucharistischen Danksagungsgebet ganz treffend: die Hl.Kommunion „sei mir die Rüstung des Glaubens und der Schild des guten Willens. Sie sei mir Reinigung von meinen Fehlern, Ertötung der bösen Lust und Leidenschaft, Mehrung der Liebe und Geduld, der Demut und des Gehorsams und aller Tugenden. Sie sei mir ein fester Schutz gegen die Nachstellungen aller Feinde, der sichtbaren und unsichtbaren, sie sei mir vollkommene Beruhigung jeglicher sinnlichen und geistigen Erregung, innige Vereinigung mit Dir, dem einen und wahren Gott, und glückselige Vollendung meiner letzten Stunde“! (“Schott - das vollständige Römische Meßbuch”, lateinisch und deutsch, S.203, im Anhang). Soll uns nicht diese Gesinnung beim Kommunionempfang erfüllen? 

Es ist wohl kein Zufall, daß Christus ausgerechnet Brot und Wein gewählt hatte, um sie in der Liturgie zu verwenden. Brot ist jenes Lebensmittel, das fast auf der ganzen Welt das Grundnahrungsmittel ist. Schon allein dadurch wollte uns der Erlöser anzeigen, daß die Hl.Eucharistie ebenso wichtig für unser geistiges Überleben ist, wie das tägliche Brot den biologischen Menschen am Leben erhält! Das Wasser versinnbildet die innere Reinigung (vgl. Taufe), der Wein dagegen wegen seines Sprühens und Spielens - das jugendliche und göttliche Moment! Wie der Wein im Menschen neue Lebenskräfte weckt und ihn ermuntert, so soll auch der konsekrierte Wein den Menschen erfrischen und ihm einen geistigen Höhenflug Gott entgegen ermöglichen! 

 

P. Eugen Rissling



1 LThK, Herder 1957, Band I, S.158.
2 eine Hauptschrift christlicher Natursymbolik, wahrscheinlich im 4.Jahrhundert in griechischer Sprache verfaßt. 
3  LThK, Herder 1957, Band VIII, S.254.

 

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