Das Opferlamm


Das Paschalamm des Alten Bundes

Im Zusammenhang mit unserem Thema über die Liturgie ist es unerläßlich, auch über das Paschalamm des Alten Bundes zu sprechen. Zudem steht das Paschalamm in innerer Beziehung zum Bundesgedanken, worüber wir das letzte Mal handelten. Denn dieses Lammopfer - vollzogen in Ägypten - leitete in gewissem Sinn den Abschluß des Bundes auf dem Berge Sinai ein. Dieses Paschalamm stellt ja das eigentliche Opfer des Alten Bundes dar, dessen Gedächtnis jedes Jahr von neuem gefeiert wurde (vgl. Ex 12,14; Lk 22,7). 

Um die Bedeutung des Paschalammes besser zu erfassen, ist es empfehlenswert, sich dessen ganze Vorgeschichte in Erinnerung zu rufen. Im 3. Kapitel des Buches Exodus wird uns von der Berufung Moses` berichtet. Gott erschien ihm im brennenden Dornbusch und berief ihn dazu, das Volk Israel, das unter der Gewalt der Ägypter viel zu erdulden hatte, aus der Knechtschaft in das Gelobte Land zu führen (vgl. Ex 3,1-10).

Im Auftrag Gottes trat Moses vor den Pharao und verlangte von ihm die Befreiung des Volkes Israel. Trotz einiger Wunder und der neun schrecklichen Plagen, die über das Land Ägypten einbrachen, ließ der Pharao die Israeliten nicht ziehen. Danach wurde dem Pharao der Tod aller Erstgeburt unter den Menschen und dem Vieh des Volkes der Ägypter angedroht. Den Israeliten dagegen sollte nicht einmal ein Haar gekrümmt werden. So sollte die Freilassung des auserwählten Volkes erwirkt werden. Hierauf gebot Gott den Israeliten, jede Familie solle zu einer bestimmten Zeit ja ein „fehlerloses“ Lamm nehmen und schlachten. Mit dem Blut dieses Lammes waren die beiden Türpfosten und die Oberschwelle der Häuser zu bestreichen. Gott würde dann nachts durch Ägypten ziehen und jede Erstgeburt, Mensch und Vieh, vernichten und so über alle Götter Ägyptens Gericht halten. „Das Blut an den Häusern, in denen ihr weilt, soll das Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn Ich das Blut sehe, ziehe Ich schonend an euch vorüber. Kein Todesverderben soll euch treffen, wenn Ich den Schlag gegen Ägypten führe“ (Ex 12,13). So ist es dann auch geschehen. Wegen der Vernichtung der Erstgeburt erhob sich in jedem ägyptischen Haus ein großes Wehklagen. Infolgedessen gestattete der Pharao den Israeliten nicht nur den Auszug aus Ägypten (noch in derselben Nacht), sondern drängte sie sogar dazu. Die Israeliten durften neben allen ihren Sachen auch ihre Schafe und Rinder mitnehmen.

 

Das wahre Lamm Gottes
 

Die Kirche sieht in diesem Auszug aus Ägypten ein Bild für die Rechtfertigung, für die Erlösung von der Sünde, die in Jesus Christus vollbracht wurde. Das Paschalamm ist ein Sinnbild des Heilandes, und demzufolge erinnert das Blut des Lammes an das kostbare Blut des Erlösers. Das Blut ist nach der Auffassung des Alten Bundes der Sitz des Lebens (Lev 17,11)! Wenn jemand Anteil am Blut des Opfertieres hat, dann hat er auch Anteil am Leben des Opfers. Wenn das Opfertier getötet und sein Blut vergossen wird, dann bedeutet das, daß es stellvertretend für die Menschen sein Leben läßt und dadurch die Wiedergutmachung des durch die Versündigungen der Menschen angerichteten (moralischen) Schadens bewirkt. Somit bewirkt das Blut des Opfertieres Sühne und schafft neues Leben! 

Allerdings ist allein Jesus Christus das wahre Lamm Gottes, der zu unserem Heil Sein kostbares Blut am Kreuz vergossen hat (vgl. 1 Kor 5,7; Joh 1,36). Erst bei Ihm und nur durch Ihn gibt es die wahre und wirksame Sühne. Letztendlich kann nur Er unsere Sünden tilgen! Diese Realität wird u.a. auch dadurch zum Ausdruck gebracht, daß es im Alten Bund strengstens verboten war, das Blut des Opfertieres zu genießen (vgl. Lev 17,11), sogar Todesstrafe stand ganz ausdrücklich darauf. Und im Neuen Bund reicht Er uns sogar selbst Sein Blut zum Genuß: „Trinket alle daraus: denn dies ist Mein Blut des Neuen Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,27f.). „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esset und Sein Blut nicht trinket, habt ihr kein Leben in euch“ (Joh 6,53)! Dieser Sachverhalt unterstreicht die sündentilgende Wirkung des neutestamentarischen Opfers im Unterschied zu allen anderen Opferkulten!

Wegen des sakramentalen Blutvergießens im Opfer der Kirche wird in jeder Messe dieselbe Sühne bewirkt wie durch das Leiden und Sterben Christi am Kreuz. Das Meßopfer hat denselben Sühnewert wie das Kreuzesopfer und nicht einen irgendwie anders gearteten! Dieser Satz muß so ernst genommen werden wie er auch klingt, sonst wird der Bedeutung der Liturgie der Kirche nicht genügend Rechnung getragen. Zwar hat Christus nur einmal gelitten - müßte Er Seinen (historischen) Tod wiederholen, wäre Seine Erlösung nicht vollkommen und wirksam gewesen -, aber Sein Leiden wird im Heiligen Meßopfer wiederholt vergegenwärtigt und für jede Generation aktualisiert. So zahlt Christus bei jeder Heiligen Messe Seinem Vater den Preis für unsere Erlösung1 und wendet uns auch die Früchte dieser Erlösung zu. Hier wird das wahre Opferlamm geschlachtet, das dem Volk nicht die Errettung vom äußeren Feind gewährt, sondern es von der (inneren) Sklaverei der Sünde und Gottesferne befreit! Welch ein erschütterndes Ereignis! 

 

Die Wirkung des Opfers

Seit der 60-er und 70-er Jahren findet in der westlichen Welt der Prozeß eines erschreckenden Wertezerfalls in Gesellschaft und Kirche statt. Kriminalität, Drogen, Sex, Egoismus und Profitmentalität nehmen in hohem Maße zu. Sicherlich sind für diesen Sittenzerfall mehrere Faktoren verantwortlich. Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang allerdings auch die Abschaffung des überlieferten Meßopfers durch die Amtskirche. Wie soll denn überhaupt der Ausbreitung des Unrechts und der Gottlosigkeit Einhalt geboten werden, wenn keine Sühne mehr erfolgt und Gott nicht um Barmherzigkeit angefleht wird? Man soll nicht meinen, der Zusammenbruch der Kirche habe keine Auswirkung auf die Entwicklung in der Gesellschaft! Sowohl die Sünde als auch das Gutes-Wirken besitzen einen sogenannten sozialen Charakter. Schon jede kleine Mißachtung des heiligen Willen Gottes trägt zur Vermehrung des Bösen in der Welt bei. Aber auch jede gute Tat ruft in irgendeiner Weise immer den Segen Gottes auf die Menschheit herab. Und wenn das schon von jeder, wenn auch scheinbar noch so unbedeutenden (lebensmäßigen) Entscheidung für Gott gesagt werden kann, um wieviel mehr gilt es im Falle der Erlösertat Jesu Christi selbst! 

Auch wenn unsere Gemeinden des katholischen Widerstandes noch so klein und nach außen hin unbedeutend sein sollten, erfüllen sie eine nicht geringe Aufgabe. Denn sie sollen letztendlich dazu beitragen, daß „vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang ... unter den Völkern“ Gott geopfert und ein „reines Opfer dargebracht“ werde (Mal 1,11)! Und wie die Israeliten beim Auszug aus Ägypten durch das Blut des Paschalammes vom schrecklichen Unheil verschont geblieben sind, so rettet uns das kostbare Blut Jesu Christi - natürlich nicht ohne unsere Mitwirkung - von einer noch größeren Gefahr: von der sich ausbreitenden Sittenlosigkeit und vom Abfall von Gott! 

In Israel gab es ein ausgeprägtes Opferwesen. Das levitische Gesetz sah verschiedene Brand-, Fried- und Sühnopfer für verschiedene Personen (Hohepriester, Stammesälteste, gewöhnliche Israeliten, die ganze Gemeinde) und wegen verschiedener Gesetzesübertretungen vor. Allen Opfern gemeinsam war die Handauflegung des Opferdarbringers auf den Kopf des Opfertieres: „So wird es ihm gnädig aufgenommen werden und Versöhnung für ihn erwirken“ (Lev 1,4). Durch diese Handauflegung sollten die Sünden des oder der Betreffenden auf das Opfertier übertragen und durch dessen Tötung aus der Welt geschafft werden! Nach demselben Muster mußte jährlich am großen Versöhnungstag auch das Heiligtum, das Offenbarungszelt und der Altar entsühnt werden: „Aaron lege dem lebenden Bock seine beiden Hände auf den Kopf und bekenne über ihm alle Verschuldungen der Israeliten und alle Übertretungen, die sie begangen haben. Er lade sie auf den Kopf des Bockes und lasse diesen durch einen bereitstehenden Mann in die Wüste bringen. So soll der Bock alle ihre Verschuldungen mit sich fort in eine abgelegene Gegend tragen“ (Lev 16,21f.). 

In Anspielung darauf breitet der Priester in der Römischen Messe seine beiden Hände kurz vor der Wandlung über den Opfergaben aus und bringt auf diese symbolische Weise das zum Ausdruck, was im Heiligen Meßopfer tatsächlich und wahrhaft geschieht: die erlösende Sühne für unsere täglichen Verfehlungen und die dadurch erfolgende Erneuerung des göttlichen Lebens in uns! 

 

P. Eugen Rissling



 


1 Die Heilige Messe ist somit nicht eine Einrichtung, um (ausschließlich) die konsekrierten Gestalten von Leib und Blut Christi zum Zweck des Kommunionempfanges zu „besorgen“! Diese Betrachtungsweise der Liturgie, die gelegentlich - eher mitlaufend als ausdrücklich - vermittelt zu werden scheint, geht an der Realität und der immensen Bedeutung des neutestamentarischen Opfers vorbei.

 

 

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