Kurze Meßbetrachtung


8. Teil


Die Schriftlesung

Nachdem der Priester in der Oration für die Anliegen der kirchlichen Gemeinde gebetet hat, beginnt er mit der Schriftlesung, die jenen ältesten Teil der Katechumenenmesse darstellt, “welchen die Kirche unmittelbar aus dem gottesdienstlichen Gebrauch der Synagoge herüber genommen hat”1. Nicht nur sollten ursprünglich durch das Anhören der Lesungen aus der hl. Schrift die Katechumenen (Taufbewerber) allmählich in den Inhalt der christlichen Lehre eingeführt werden. Auch den bereits getauften Gläubigen gereichen diese Texte zum Nutzen, weil sie sich dadurch an die einzelnen Glaubenswahrheiten erinnern und sich in diese vertiefen mögen. 

Der Zusammenhang zwischen Schriftlesung und Opferhandlung besteht darin, dass der Same des göttlichen Wortes, der in die Seelen gesenkt wird, die Bereitschaft zum Mitvollzug des eucharistischen Opfers erhöhen und somit auch zu dessen reichen Frucht in den Herzen der Gläubigen gereichen soll. Christus, der untrügliche Lehrer der Wahrheit, erleuchtet den Verstand der Menschen und stärkt ihren Willen zu Seiner Nachfolge! Anfänglich las man aus dem Alten Testament vor. Doch schon Paulus bestimmt, dass sein “Brief bei euch vorgelesen” wird (Kol 4,16). Die Adresse seiner einzelnen Briefe lässt ebenfalls erkennen, dass die Mehrzahl von ihnen zur öffentlichen Vorlesung bestimmt waren (vgl. Röm 1,7; 1 Kor 1,2; 2 Kor 1,1; Gal 1,2; Eph 1,1; Phil 1,1; Kol 1,2; 1 Thes 1,1; 2 Thes 1,1; Phil 1,2). Nach der Abfassung der Evangelien wurden auch diese bei der Schriftlesung herangezogen. Nach dem hl. Martyrer Justin wurden schon um das Jahr 150 am Sonntag zu Beginn der Messe “aus den Denkwürdigkeiten der Apostel (apomnemoneumata = Evangelien, Apostelgeschichte, Apostelbriefe) und aus den “Propheten” (wahrscheinlich Bezeichnung für das ganze Alte Testament) vorgelesen2

Seit dem 6. Jahrhundert kennt der Römische Meßritus nur mehr zwei Lesungen - Epistel und Evangelium. Wird die erste liturgische Schriftlesung einem der sogenannten Paulinischen oder Katholischen Brief entnommen, lautet die Einleitung: “Lectio Epistolae beati N. Apostoli”, wird ein Abschnitt aus dem Alten Testament vorgelesen, heißt es unter Angabe des betreffenden Buches: “Lectio libri N.” In einigen wenigen Fällen aber werden nach liturgischen Vorschriften mehrere Lectionen und Episteln genommen (so z.B. an Quatembersamstagen). Es darf angenommen werden, dass die ersteren (zusätzlichen) Lesungen den letzten Rest einer der hl. Messe einst vorangegangenen Vigilfeier bilden, die am Vorabend eines Festes begangen wurde. Die Lesungen während der liturgischen Osternachtsfeier erinnern auch heute noch deutlich daran. Anfänglich las man in der Regel in fortlaufender Folge aus dem Codex der hl. Schrift. Mit dem Aufkommen christlicher Feiertage sah man sich aber veranlasst, an diesen Tagen eine ganz bestimmte Auswahl liturgischer Lesestücke zu treffen - die Lectio/Epistel und das Evangelium sollten dem Festcharakter des betreffenden Tages entsprechen. Folgerichtig war, dass man ebenfalls darauf achtete, diese beiden liturgischen Lesungen auch untereinander aufeinander abzustimmen, auch wenn sich diese Tendenz nicht bei jeder der täglichen Meßfeiern im Laufe des Kirchenjahres durchsetzen konnte. 

Wie Johannes der Täufer dem kommenden Messias vorausging und Ihm den Weg bereitete, wie die Apostel vor Christus her ausgesandt wurden, um die Menschen auf die Predigt des Gottessohnes vorzubereiten, so geht dem Evangelium, in dem zu uns der Erlöser selbst spricht, die Lesung voraus, dessen Inhalt die Worte der alttestamentarischen Propheten und der neutestamentarischen Jünger und Schüler Jesu Christi bilden. Darum muss der Subdiakon (beim levitierten Hochamt) oder auch sonst der zelebrierende Priester selbst beim Vortrag der Lesung in Richtung des Altares schauen, der ja Christus symbolisiert. Zum Schluß der Lesung wird “Deo gratias - Gott sei Dank” gesagt, um Gott zu danken für die Lehren, die Er den Gerechten des Alten Bundes und den Aposteln übermittelt hat, und in deren Genuss auch wir jetzt kommen dürfen. 

Bevor das hl. Evangelium verkündet wird, wird das Missale von Altardienern auf die vom Volk aus gesehen linke Altarseite hinübergetragen. Der Priester verrichtet in der Mitte vor dem Kreuz unter Verneigung des Oberkörpers (d.h. im Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit) das Gebet: “Reinige mein Herz und meine Lippen, allmächtiger Gott. Wie Du einst die Lippen des Propheten Isaias mit glühendem Steine gereinigt hast, reinige auch mich durch Dein gnädiges Erbarmen, damit ich Dein hl. Evangelium würdig zu verkünden vermöge. Durch Christus, unseren Herrn. Amen.” Wie Isaias sich für verloren hielt, weil er “mit eigenen Augen den König geschaut, den Herrn der Heerscharen” (vgl. Is 6,5-7), so erkennt auch der Priester die Notwendigkeit der Entsühnung, da er sich ja anschickt, seines erhabenen Amtes als Künder des Evangeliums Jesu Christi zu walten. 

Wie die Apostel so erhält nun auch der Zelebrant die Sendung dazu vom göttlichen Meister: “Herr, gib mir Deinen Segen. Der Herr sei in meinem Herzen und auf meinen Lippen, damit ich Sein Evangelium würdig und geziemend verkünde. Amen.” Bei einem levitierten Hochamt holt sich der Diakon, der mit dem Vortrag des Wortes Gottes beauftragt ist, diesen Segen vom Priester, dem Stellvertreter Christi, ab. Der Priester steht beim Vortrag des Evangeliums etwa zur Hälfte nach links gedreht. Das bedeutet, dass er sich in Richtung Norden wenden will (der Diakon wendet sich dieser Himmelsrichtung ganz zu). “Der Norden ist nach biblischer Auffassung die Region, von wo Erstarrung, Unglück und Verwüstung kommt, und ist darum passend Symbol jener religiös-sittlichen Erstarrung und Verwüstung, die überall herrscht, wohin Christus mit Seinem Wort nicht gedrungen ist” ( ebd., S.115 ). Aus Ehrfurcht vor Christus wird dabei gestanden. Den Segen, den der Zelebrant empfangen hat, wünscht er auch den Gläubigen: “Dominus vobiscum - der Herr sei mit euch.” Daraufhin spricht er: “Sequentia...” oder in einigen wenigen Fällen: “Initium sancti Evangelii secundum N.” (“Aus der Fortführung...” bzw. “Anfang des hl.Evangeliums nach N.”), und bezeichnet dabei das Evangeliumbuch mit einem Kreuzzeichen, um darzutun, dass darin die Predigt vom Gekreuzigten enthalten ist. Die Bekreuzigung der Stirn, des Mundes und der Brust, die die Gläubigen mitmachen, symbolisiert, dass der Herr in unserem Verstand und Herzen wohnen und durch den Mund ein gläubiges Bekenntnis empfangen möge. 

Auf diese Ankündigung des Evangeliums antworten die Altardiener mit einem Huldigungsruf an den Erlöser: “Gloria tibi, Domine - Ehre sei Dir, o Herr”, und der Priester/Diakon erweisen dem Evangeliumbuch (Christus!) mit dem zuvor ins Rauchfaß eingelegten und gesegneten Weihrauch - mit dem gleichen Segensgebet wie bei der Inzensierung nach dem Stufengebet - ihre Verehrung. 
Zum Schluß des Evangeliums küßt der Priester dieses Evangeliar (Christus!), und die Meßdiener sprechen: “Laus tibi, Christe - Lob sei Dir, Christus”, um gleich dem Priester ihre Dankbarkeit für die Gnaden der vernommenen Lehre Christi auszudrücken. Als Repräsentant Christi wird der Zelebrant auch noch beweihräuchert. Während des Vortrags des Evangeliums werden von Ministranten (bei einem Hochamt) zwei brennende Kerzen gehalten zum Zeichen, dass das “Licht der Welt” (Joh 8,12) bereits erschienen ist und jetzt zu uns spricht! 

 

P. Eugen Rissling



1 Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band II, Freiburg 1933, S.98. 
2 ebd., S.99.

 

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