Kurze Messbetrachtung


25. Teil


17. Kanon - Memento etiam 

Im Verlauf der hl. Messe (in jenem Teil, den wir hier schon behandelt haben) wird wiederholt auf die Gemeinschaft aller in Jesus Christus Erlöster hingewiesen - auf die Gemeinschaft der Heiligen. Im Sündenbekenntnis (Confiteor) zu Beginn der Liturgie werden die Heiligen Zeugen der Reue des zelebrierenden Priesters und der der Messe beiwohnenden Gemeinde. Sie werden dann, die sie ja bereits das Ziel ihrer irdischen Wanderschaft in der Ewigkeit erreicht haben, umgehend auch um ihre Fürbitte am Throne Gottes angegangen. 

Im Aufopferungsgebet zur allerheiligsten Dreifaltigkeit (Suscipe, sancta Trinitas) während der Opferung wird die eucharistische Opfergabe zur Ehre der Heiligen dargebracht, wobei die Muttergottes, der Johannes der Täufer und die Aposteln Petrus und Paulus eine spezielle Erwähnung erfahren. Beim Gedächtnis der Heiligen (Communicantes) wird dann das Andenken der hl. Jungfrau und der 24 namentlich genannter Heiligen geehrt. „Ob ihrer Verdienste und Fürbitten“ möge uns der Herr „in allem hilfreich“ Seinen „Schutz und Beistand“ gewähren. Da aber nach katholischer Lehre zur besagten Gemeinschaft der Heiligen alle in Jesus Christus erlösten Seelen gehören (wie wir gleich eingangs darauf hingewiesen), wird in der hl. Messe neben der sogenannten Triumphierenden Kirche auch der Streitenden Kirche gedacht, die aus den hier auf Erden noch weilenden Christgläubigen besteht. Diese haben zwar ihr ewiges Heil noch nicht endgültig erlangt - sie können es auch wieder verlieren -, aber dennoch partizipieren sie ja durch Glaube, Taufe und die übrigen hl. Sakramente bereits an der Erlösungsgnade Jesu Christi und erfreuen sich der Gemeinschaft mit unserem göttlichen Heiland. So schließt auch die Kirche ganz speziell alle anwesenden Christgläubigen in das hl. Opfer beim Gedächtnis der Lebenden (Memento, Domine) im ersten Teil des Römischen Messkanons ein. Für sie wird geopfert, „damit ihre Seele gerettet und ihre Hoffnung auf Heil und Wohlfahrt gesichert werde“. Und schon beim allerersten Opferungsgebet bringt der Priester „diese makellose Opfergabe“ eben auch „für alle Umstehenden und alle Christgläubigen, für die Lebenden und Verstorbenen“ dar. Der Herr möge geben, „dass sie (die Opfergabe) mir und ihnen zum Heil gereichen für das ewige Leben. Amen.“ 

Und wie der Römische Messritus ein besonderes Gedächtnis der Lebenden (eben Memento, Domine) kennt, so folgt auf die drei Opfergebete nach der hl. Wandlung im Memento etiam ein ganz spezielles Gedächtnis der Toten, welches der Zelebrant mit vor der Brust ausgebreiteten Armen verrichtet: „Gedenke, Herr, auch Deiner Diener und Dienerinnen N. und N., die uns mit dem Zeichen des Glaubens vorangegangen und im Frieden entschlafen sind. (Hier macht der Priester eine Pause und betet mit geschlossenen Armen kurz für jene Verstorbenen, derer er gedenken will.) Wir flehen Dich an, Herr: gewähre ihnen und allen, die in Christus ruhen, in Deiner Milde den Ort der Erquickung, des Lichtes und des Friedens. Durch denselben Christus, unseren Herrn. Amen.“ 

„Die Fürbitte für die Verstorbenen in Gegenwart des eucharistischen Opfers galt schon den heiligen Vätern als ganz besonders wirksam. Cyrill von Jerusalem (Cat. myst. V, 9) sagt: ´Wir gedenken auch der bereits Entschlafenen..., weil wir glauben, dass diese Bitten jenen Seelen, für welche sie dargebracht werden, während das heiligste und hehrste Opfer vor uns liegt, zum größten Nutzen gereichen werden.´ Der hl. Johannes Chrysostomus ruft den Gläubigen zu: ´Nicht umsonst ist von den Aposteln die Anordnung getroffen worden, dass bei der Feier der schauererregenden Geheimnisse der Abgeschiedenen gedacht werden soll. Sie wussten eben recht gut, dass denselben daraus großer Gewinn, großer Nutzen zufließe. Wenn nämlich das gesamte Volk und die gesamte Priesterschar dasteht mit aufgehobenen Händen, und das schauererregende Opfer auf dem Altar liegt, wie sollen wir da nicht durch unsere Fürbitten für sie das Herz Gottes erweichen?´“ (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band II, Freiburg 1933, S. 189) 

Und schon von Judas, einem der Makkabäerbrüder heißt es: „Dann veranstaltete er eine Sammlung unter seinen Leuten und brachte zweitausend Drachmen Silber zusammen. Diese sandte er nach Jerusalem, damit ein Sündopfer dargebracht würde. Das war eine sehr schöne und edle Handlung, weil er an die Auferstehung dachte. Denn hätte er nicht an die Auferstehung der Gefallenen geglaubt, so wäre es überflüssig und töricht gewesen, für die Verstorbenen zu beten. Auch zog er in Betracht, dass den fromm Entschlafenen eine gar herrliche Belohnung aufbewahrt ist. Ein heiliger und frommer Gedanke! Darum veranstaltete er für die Verstorbenen ein Sündopfer, damit sie von ihrer Sünde erlöst würden“ (2 Makk 12,43-46). 

Der Begriff „gedenken“ bedeutet hier soviel wie: „sich ihrer annehmen“, „sich um sie kümmern“, „sich ihrer erbarmen“. Wie schön und wunderbar ist es, dass die katholische Kirche in jeder hl. Messe ihrer Verstorbenen „gedenkt“, und zwar aller ihrer Verstorbenen, dass sie niemand in ihren Gebeten vergisst, keines ihrer verstorbenen Glieder nur sich selbst überlässt! Gibt es denn nicht viele Menschen, die entweder niemand hinterlassen haben oder bald vergessen worden sind, oder deren Kinder den Glauben nicht ernst nehmen und daraus resultierend nicht für das Seelenheil der Eltern und Großeltern beten? Aber die Kirche vergisst sie nicht - auch wenn sie entweder namentlich nicht genannt werden oder aufgrund des Fortlaufs der Geschichte den später Lebenden nicht (mehr) persönlich bekannt sind, wird für sie am Throne Gottes durch die katholische Kirche Fürbitte eingelegt! Und dies gilt umso mehr, als dass es sich hier nicht nur um ein bloßes Gebet handelt, wie es jeder andere auch verrichten könnte, sondern darum - was eben die heiligen Cyrill von Jerusalem und Johannes Chrysostomus ansprachen -, dass die Kirche ihre Sorge um das ewige Heil der Verstorbenen in nichts geringeres als sogar in das neutestamentliche hl. Opfer einbeziehen lässt. Und wie trostreich ist dieser Gedanke und diese Realität auch für uns, die wir teilweise noch so hart um unsere Rettung und unser ewiges Heil hier auf Erden kämpfen und ringen müssen. Sollten wir wegen unserer zahlreichen sittlichen Unzulänglichkeiten nach unserem irdischen Tod noch unsere Sündenstrafen im Fegefeuer abbüßen müssen, sind wir doch niemals allein, wird auch für uns gebetet, wird auch unseretwegen im hl. Messopfer ein „Gedenke, Herr...“ eingelegt, werden auch wir nicht einzig und allein uns selbst überlassen sein! 

„Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, sagt der Autor des Hebräerbriefs und wendet diesen Satz auf jene an, die „den Sohn Gottes mit Füßen“ treten, „das Blut des Bundes“ gering schätzen „und den Geist der Gnade“ schmähen (vgl. 10,29-31). Aber auch wenn wir uns (erfreulicherweise) nicht solcher Vergehen schuldig gemacht haben sollten, wissen wir - hoffentlich! -, dass es kein Spaß sein wird, dem Richter über Lebende und Tote Antwort über unser Tun und Lassen geben zu müssen: „Welch ein Graus wird sein und Zagen, wenn der Richter kommt, mit Fragen streng zu prüfen alle Klagen“ (Sequenz aus der Totenmesse). Aber gerade deshalb fleht ja die Kirche Gott um das Seelenheil ihrer Kinder an. Und sie begründet ihr Gebetsvertrauen auch damit, dass diese Gläubigen „uns mit dem Zeichen des Glaubens vorangegangen und im Frieden entschlafen sind“. Wenn sie den seligmachenden christlich-katholischen Glauben empfangen und in dessen Bekenntnis bis ans Ende verharrt haben, wenn sie „im Frieden“ mit Gott und der Kirche, von der sie sich weder durch Häresie noch Schisma getrennt, und von der sie vielleicht auch noch die hl. Sterbesakramente erhalten haben, „entschlafen sind“, dann dürften sie aufgrund Gottes „Milde“ umso eher mit „allen, die in Christus ruhen“, die himmlische Seligkeit erlangen! 

Und diese glückselige Gemeinschaft mit Gott wird hier umschrieben als der „Ort der Erquickung, des Lichtes und des Friedens“. Das Leben ohne Gott stellt für den Menschen letztendlich eine unerträgliche Last bzw. Belastung dar, es wirkt sich für ihn als geistige Dunkelheit bzw. Finsternis und als ein Herd ständiger Unruhe bzw. innerer Qual aus. Und den Seelen im Fegefeuer wird diese Wahrheit aufgrund ihres äußerst intensiven Erlebens dieses Ausschlusses von Gott umso bewusster! Deswegen die dringende Bitte der Kirche, die an den Herrgott durch den zelebrierenden Priester herangetragen wird, diese Seelen mögen doch bitte jenes Himmlischen Jerusalems teilhaftig werden, welches weder „des Sonnen-„ noch „des Mondlichtes bedarf. Die Herrlichkeit Gottes erhellt sie. Ihre Leuchte ist das Lamm“ (Offb 21,22f.), und in welchem es „einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall“ gibt (Offb 22,1). 

Um daran zu erinnern, dass auch den Armen Seelen diese Gnade der Gottanschauung nur aufgrund des Verdienstes Jesu Christi, unseres göttlichen Erlösers, zukommen kann, beendet der Priester das Gebet mit : „durch Christus, unseren Herrn. Amen.“ Dabei „hat der Priester nicht bloß die Hände zu falten, sondern auch das Haupt zu neigen. [...] Sterbend hat Christus am Kreuz Sein Haupt geneigt und ist dann in die Tiefe des Totenreiches hinabgestiegen, um die Frommen der Vorzeit dort zu trösten und aus ihrer Gefangenschaft zu befreien. Daran will der Priester nun erinnern durch Neigung seines Hauptes, da er ja hier für alle in Christus Ruhenden betet und fleht, der Sühnequell des eucharistischen Opferblutes möge herabfließen in das Fegefeuer, um die Peinen der armen Seelen zu lindern und abzukürzen“ (Gihr, N., Das heilige Meßopfer. Freiburg 1912, S. 593f.) 

 

P. Eugen Rissling

 

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