Kurze Messbetrachtung


23. Teil


16. Kanon - Supra quae propitio 

Nachdem dem Priester im ersten Gebet nach der Konsekration, dem Gebet „Unde et memores“, noch einmal vor Augen geführt wurde, dass in der hl. Messe nichts geringeres geschieht, als dass durch das „reine, heilige, makellose Opfer“ des Leibes und Blutes Jesu Christi, „des heiligen Brotes des ewigen Lebens und des Kelches des immerwährendes Heiles“, Sein heilbringendes Erlösungswirken aktualisiert, d.h. vergegenwärtigt wird, trägt er, der Priester, dem himmlischem Vater in den nächsten beiden Gebetes des Kanons jeweils eine Bitte um die Annahme des Opfers vor. Auch wenn dies hier in der hl. Messe zum wiederholten Male geschieht, wird durch das mehrfache Vorbringen dieses Gebets- bzw. Opferanliegens nur das Wissen der Kirche um die immense Bedeutung des hl. Opfers des Neuen Bundes für das Heil der Menschheit eindrucksvoll unterstrichen. 

Zunächst heißt es also: „Schaue huldvoll darauf nieder mit gnädigem und mildem Angesichte, und nimm es wohlgefällig an, wie Du einst mit Wohlgefallen aufgenommen hast die Gaben Abels, Deines gerechten Dieners, das Opfer unseres Patriarchen Abraham, das heilige Opfer und die makellose Gabe, die Dein Hoherpriester Melchisedech Dir dargebracht hat“. Wenn Gott auf etwas „huldvoll niederschauen“ soll, dann bedeutet dies, dass Er dem Bittenden mit erbarmendem Wohlwollen entgegenkommen, ihm in gnädiger Geneigtheit zur Hilfe eilen möge. Unterstrichen wird diese kirchliche Sicht der Menschenfreundlichkeit Gottes durch die Erwähnung seines „gnädigen und milden Angesichts“. Gott ist der, der Gnade gewährt und sie verschenkt, der sich einem reuigen und um Hilfe flehenden Menschen gegenüber eher nachsichtig als dreinschlagend und strafend verhält! 

Der Herr soll das Ihm seitens der Kirche darbringende Selbstopfer Seines Eingeborenen Sohnes genauso „wohlgefällig“ annehmen, wie Er einst „die Gaben“ und „das Opfer“ Abels, Abrahams und Melchisedechs „aufgenommen“ hat. „Mit der Erwähnung dieser alttestamentlichen Gerechten ist aber [...] angedeutet: um das Opfer der Gläubigen Gott angenehm zu machen, soll in ihnen auch die Gesinnung herrschen, welche diese Männer beseelte“ (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band II, Freiburg 1933, S. 187). Das Opfer Abels, „Deines gerechten Dieners“, bestand darin, dass er „von den Erstlingen seiner Herde opferte, und zwar die Fettstücke“ (Gen 4,4). Anscheinend besaß er dabei im Unterschied zu seinem Bruder Kain, der „von den Früchten des Feldes dem Herrn ein Opfer darbrachte“ (Gen 4,3), die rechte, d.h. vor Gott richtige Einstellung, aufgrund welcher „der Herr gnädig auf Abel und sein Opfer schaute“ (Gen 4,4). Dies wird auch im Hebräerbrief bestätigt: „Im Glauben brachte Abel Gott ein wertvolleres Opfer dar als Kain. Dafür erhielt er das Zeugnis, dass er gerecht sei. Das bezeugte ihm Gott angesichts seiner Gaben. Durch seinen Glauben redet er noch nach seinem Tod“ (Hebr 11,4; vgl. Hebr 12,24). Die Erwähnung Abels im Kanon der hl. Messe hat außerdem noch jene Bewandnis, dass er durch das ungerechte Erleiden des gewaltsamen Todes (vgl. Gen 4,8) als ein Vorbild des für unsere Sünden unschuldig leidenden Heilandes Jesus Christus erscheint. Spricht ja auch Jesus das „Blut des gerechten Abel“ an, welches über die Ihn verfolgenden jüdischen Pharisäer und Schriftgelehrten kommen soll (vgl. Mt 23,35; Lk 11,51). 

Das Opfer „unseres Patriarchen Abraham“ bestand in seiner heroischen Bereitschaft, seinen heißersehnten und im betagten Alter erhaltenen Sohn Isaak „zum Brandopfer“ darzubringen. Nicht nur war Isaak sein Sohn, nicht nur war Isaak sein einziger legitimer Sohn, durch ihn schien sich die wiederholt geäußerte Verheißung Gottes zu erfüllen, Abraham eine zahlreiche Nachkommenschaft zu bescheren. Zudem bekundete Gott zuvor ausdrücklich seine Absicht, „nur mit Isaak“ einen „Bund“ schließen zu wollen (vgl. Gen 17,20f.). 

Und dennoch war Abraham bereit, auf Geheiß Gottes hin, im Vertrauen auf Seine Vorsehung, die ihm ja auch schon zuvor auf eine außergewöhnliche, wundersame Weise einen Sohn schenkte, diesen Isaak zu opfern! Natürlich ließ Gott dies nicht zu, er schritt rechtzeitig ein. Aber in seiner Bereitschaft, sich Gott gegenüber unbedingt als gehorsam zu erweisen, drückte sich der starke Glaube Abrahams aus. So sagt wiederum der hl. Paulus: „Im Glauben brachte Abraham Isaak zum Opfer, als er auf die Probe gestellt wurde. Er opferte seinen einzigen Sohn, obwohl er die Verheißung empfangen hatte und ihm gesagt war: ´Durch Isaak sollst du Nachkommen erhalten´. Er dachte: Gott hat die Macht, auch von den Toten zu erwecken. Darum erhielt er ihn auch als ein Vorbild zurück“ (Hebr 11,17-19). Und wenn Abraham als „unser Patriarch“ bezeichnet wird, dann erscheint er da ausdrücklich als der Vater derer, die an Jesus Christus als den göttlichen Erlöser glauben! Im Galaterbrief des hl. Apostels Paulus finden wir diesbezügliche Ausführungen: „Erkennet also, dass jene Kinder Abrahams sind, die da glauben. Die Schrift sah aber voraus, dass Gott die Heiden1 durch den Glauben rechtfertigt. Darum verkündete sie dem Abraham voraus: ´In dir sollen alle Völker gesegnet werden.´ Mithin werden, die da glauben, mit dem glaubenstreuen Abraham gesegnet. Dagegen stehen alle, die sich an die Gesetzeswerke halten (die Angehörigen der jüdischen Religion also), unter dem Fluch. [...] So sollte der Segen Abrahams den Heiden durch Christus Jesus zuteil werden, und wir sollten den verheißenen Geist durch den Glauben empfangen“ (Gal 3,7-10.14)! 

Und Melchisedech verdient nach Meinung der Kirche deshalb eine Erwähnung an dieser Stelle des Römischen Messkanon, weil sein Opfer, welches hier als das „heilige Opfer und die makellose Gabe“ genannt wird, schlechthin als der Typus des unblutigen Opfers des Neuen Bundes gilt. Denn Melchisedech brachte ausgerechnet „Brot und Wein“ zum Opfer dar, welches somit ohne Vergießen von Blut erfolgte, als nämlich Abraham von der Niederwerfung der ihm gegenüber feindlich gesinnten Könige zurückkehrte (vgl. Gen 14,17f.). 

Über weitere Parallelen zwischen Melchisedech, der hier ausdrücklich als „Dein Hoherpriester“ bezeichnet wird, und Jesus Christus lässt sich Paulus wie folgt aus: „Dieser Melchisedech war König von Salem und Priester Gottes des Allerhöchsten. Er ging Abraham bei dessen Heimkehr von der Niederwerfung der Könige entgegen und segnete ihn. Darauf gab ihm Abraham den Zehnten von allem. Sein Name bedeutet zunächst König der Gerechtigkeit, dann aber auch König von Salem, das heißt König des Friedens. Er steht ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum, ohne Anfang der Tage und ohne Ende des Lebens. So ist er dem Sohne Gottes ähnlich und bleibt Priester in Ewigkeit“ (Hebr 7,1-3). Indem wir also bei der Darbringung des Opfers des Altares mit seinen Vorbildern aus dem Alten Bund konfrontiert werden, wollen wir umso mehr auch die rechte Opfergesinnung teilen, die diese vorchristlichen Gerechten erfüllte, damit sowohl der Opferdienst der Kirche als auch die Opferhingabe des einzelnen gläubigen katholischen Christen von Gott ebenfalls „mit Wohlgefallen aufgenommen“ werden kann. 

Wie schön ist es außerdem, wenn uns hier die reiche Welt des Alten Bundes vor Augen geführt wird, aus der wir trotz ihrer Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit nicht selten auch viel Nützliches und Erbauendes für unseren Glauben schöpfen können, wie es uns der vorliegende Fall eben beweist. 

 

P. Eugen Rissling



1Als „Heide“ gilt in der Hl. Schrift jeder, der kein Angehöriger des jüdischen Volkes und somit der jüdischen Religion ist.

 

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