Kurze Messbetrachtung


22. Teil


16. Kanon - Unde et memores 

Wie wir im Laufe unserer Ausführungen über die neutestamentliche, christliche Liturgie bereits wiederholt darauf hingewiesen haben, beginnt die Opferhandlung des Römischen Messritus wegen dessen innerer Einheit bereits mit jenem Teil der Messe, der Opferung genannt wird, und nicht etwa erst mit dem Kanon bzw. mit oder nach der hl. Wandlung. Zwar stellt diese Konsekration der Opfergaben den „absoluten Höhepunkt des liturgischen Opfergeschehens“ dar. Dennoch verleiht die katholische Kirche ihrem Opferwillen respektive dem Opferwillen Jesu Christi, ihres göttlichen Hauptes, neben der Opferung auch in den Opfergebeten des Kanons Ausdruck. 

So verrichtet der katholische Priester nach der Wandlung drei inhaltsstarke Opfergebete, die jeweils verschiedene Gesichtspunkte des einen Opfers ansprechen. Zunächst folgt das sogenannte „Gedächtnis des Erlösungswerkes Christi“ (Schott): „Daher sind wir denn eingedenk, o Herr, Deine Diener, aber auch Dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt Deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, und bringen so Deiner erhabenen Majestät von Deinen Geschenken und Gaben ein reines X Opfer dar, ein heiliges X Opfer, ein makelloses X Opfer: das heilige Brot X des ewigen Lebens und den Kelch X des immerwährenden Heiles.“ 

Mit dem letzten Satz der zuvor erfolgten Konsekration: „Tuet dies, sooft ihr es tut, zu Meinem Gedächtnis“, hat Jesus Christus Seine Apostel nach katholischer Lehre zu Bischöfen und Priestern des Neuen Bundes eingesetzt (Konzil von Trient, Sessio XXII, Kap. I bzw. Can. II). Denn indem Er sie feierlich beauftragte, die von Ihm vollbrachte sakrale Handlung in der Zeit danach zu wiederholen, befähigte Er sie konsequenterweise auch dazu. Niemand kann sich ja selbst diese Zelebrationsvollmacht erteilen! Und mit dem Wörtchen „daher“ bezieht sich nun die Kirche auf diesen ihr erteilten Zelebrationsauftrag, der ja darin besteht, dasselbe zu tun, was Christus „am Abend vor Seinem Leiden“ getan hat. Mit diesem „Tuet dies...“ an die Apostel unterstrich Jesus somit eindrucksvoll die immense Bedeutung der heiligen Messe für das Glaubensleben der Kirche und der Gläubigen. Denn es ist wohl kaum anzunehmen, dass Jesus an dem Tag, an welchem Seine Seele „bis zum Tod betrübt“ war (vgl. Mt 26,38), von weniger bedeutenden Sachen geschweige denn von Banalitäten gesprochen hätte. 

Und da sie dieses Tun, diese die Opferliebe Christi gegenwärtigsetzende liturgische Handlung Christi, „zu Meinem Gedächtnis“, d.h. im „Gedächtnis“ an Sein Erlösungswerk vollbringen soll, kann dieses „Gedächtnis“ keinesfalls etwa im bloß mentalen Erinnern, im ausschließlich gedanklichen Sich-Erinnern an das Leiden Christi zu Beginn unserer christlichen Zeitrechnung bestehen, was uns heute die modernistische Irrlehre weismachen möchte. Dies könnten wir nämlich allein schon durch die Lektüre der Leidengeschichte Christi in den Evangelien erreichen, dazu bedürfte es nicht einer Messe. 

Nein, Jesus Christus sprach an dieser Stelle bezeichnenderweise nicht etwa vom Auftrag, Seine Lebensgeschichte aufzuschreiben und sie daraufhin zu lesen, sondern Er beauftragte Seine Jünger mit nichts anderem als mit dem Tun dessen, was Er selber in ihrer Gegenwart getan hatte! Die Kirche gedenkt somit Seiner, indem sie opfert. Diese Art von „Gedächtnis“ besteht in einem Tun, im Wiederholen des Tuns Christi, im Vollbringen Seiner eucharistischen Opferhandlung durch die Apostel! Dieses „Gedächtnis“ ist ein Tat-„Gedächtnis“, welchen Umstand auch die Kirche in ihrer Liturgie zum Ausdruck kommen lässt: „Unde et memores...offerimus - Daher sind wir denn eingedenk..., und bringen so ... ein ... Opfer dar“. 

Und zwar ist die Kirche auf diese Weise „eingedenk“ „des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt Deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus“. Naturgemäß muss das „Leiden“ Christi, welches uns ja erst das Heil brachte, in den Vordergrund des neutestamentlichen Opfers gerückt werden. Aber auch die „Auferstehung von den Toten“ und die „glorreiche Himmelfahrt“ des Herrn gehören zum Heilsmysterium. Sie sind die seligen Folgen Seines Opfertodes und machen Seinen Triumph über Sünde und Teufel sichtbar. Daher verdienen sie nach Meinung der Kirche hier einer gesonderten Erwähnung. 

„Wir, Deine Diener, aber auch Dein heiliges Volk“ bringen dieses Opfer dar. Im christlichen Altertum wurde die hl. Messe nicht selten in Anwesenheit einer nicht geringen Anzahl des Ortsklerus gefeiert. Die Zelebration unter Beteiligung der Leviten (Diakon, Subdiakon) war auch noch viel später ziemlich verbreitet. Die im Plural gehaltene Form: „wir, Deine Diener“ mag daran erinnern, zumal der Diakon auch heute noch beim levitierten Hochamt während der Opferung das Opferungsgebet über den Opferwein (unter Berührung des Kelches) zusammen mit dem Priester zu sprechen hat. 

Vielleicht könnte diese in der Mehrzahl gehaltene Form ebenfalls als eine Anspielung an die Mitbrüder des zelebrierenden Priesters im Priesteramt gedeutet werden, die täglich dieses heilige Opfer feiern, um auf diese Weise die Einheit aller Messzelebrationen darzustellen, weil ja in jeder hl. Messe nur das eine und dasselbe Opfer Jesu Christi gegenwärtig gesetzt wird. „Aber auch Dein heiliges Volk“ beteiligt sich an dieser Opferdarbringung. Natürlich nicht in der Weise, als ob es keinen Unterschied gäbe zwischen dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, an dem man durch die hl. Taufe Anteil gewinnt, und dem speziellen Weihepriestertum, das durch das hl. Sakrament der Weihe mitgeteilt wird. Nein, allein der geweihte Priester ist von Christus her (durch die Kirche) befähigt, diese heiligen Geheimnisse zu vollziehen. (Sonst bedürfte es nicht des Sakramentes der Priesterweihe, für welches neben der Heiligen Schrift auch die Kirchengeschichte von Anfang an ein beredtes Zeugnis ablegt.) Dennoch partizipiert auch das gläubige Volk auf eine ihm eigene Art daran, indem es sich durch die Hingabe seiner selbst mit dem Opfer Christi bzw. dem Opfern der Kirche verbindet: „Brüder: ...bringt euren Leib Gott als ein lebendiges, heiliges, wohlgefälliges Opfer dar. Das sei euer geistiger Gottesdienst“ (Röm 12,1). 

Und zwar wird von der Kirche ein „reines Opfer, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer dargebracht“. Bereits der Prophet Malachias hat im 6./5. vorchristlichen Jahrhundert für die Zukunft ein reines Opfer vorhergesagt: „Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang wird Mein Name groß sein unter den Völkern, und überall wird Meinem Namen geopfert und ein reines Speiseopfer dargebracht“ (Mal 1,11), welches somit seine Erfüllung im neutestamentlichen Opfer der Kirche fand! Rein ist das Opfer Christi, „weil die heilige Menschheit Christi aus der reinsten Jungfrau, ohne Befleckung mit der Erbsünde, hervorgegangen; heilig, weil hypostatisch verbunden mit der Quelle der Heiligkeit; unbefleckt, weil ohne persönliche Sünde, ja unsündlich“ (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band II, Freiburg 1933, S. 186). Dabei besteht dieses Opfer im „heiligen Brot des ewigen Lebens“ und im „Kelch des immerwährenden Heiles“. Klar knüpft hier die Kirche an die große eucharistische Rede im Johannesevangelium an: „Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Bei diesem Brot, das vom Himmel kommt, ist es so, dass man davon isst und nicht stirbt. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das Ich geben werde, ist Mein Fleisch für das Leben der Welt“ (Joh 6,48-51). 

Wenn also in der hl. Messe dasselbe „heilige Brot des ewigen Lebens“ und derselbe „Kelch des immerwährenden Heiles“ dargebracht wird, von welchen Christus in Seinem Evangelium spricht, dann eben auch mit derselben Zweckbestimmung: „für das Leben der Welt“. Und da diese Redewendung ihrerseits eindeutig auf das stellvertretende Leiden und Sterben Jesu Christi am Stamm des Kreuzes angespielt, bedeutet dieser ganze Kontext in der Folge, dass durch das Opfern der konsekrierten Opfergaben auf den Altären der Kirche dasselbe „ewige Leben“ und dasselbe „immerwährende Heil“ sakramental-unblutig konstituiert bzw. geschaffen wird. Und zwar in der Weise, dass dieses „ewige Leben“ und „immerwährende Heil“ für die jeweils anderen Menschen erneuert und für die jeweils andere Zeit erneut vermittelt wird! Bedenken wir also, welche enorme Bedeutung das hl. Messopfer für das Schicksal der Menschheit besitzt, da sich ja in ihm jedes Mal nichts geringeres als das Erlösungswirken Jesu Christi sakramental aktualisiert. Und welches grausame Verbrechen auf der anderen Seite dessen Abschaffung durch Montini & Co. darstellt!.. Die fünf Kreuzzeichen, die der Priester während der Bezeichnung der Opfergaben über diese macht, erinnern nicht nur an den Kreuzestod Christi als an die Ursache unserer Erlösung, sondern auch an Seine fünf Wundmale, die Ihm beim Vollzug Seines Liebesopfers „für das Leben der Welt“ von Seinen Gegnern schmachvoll zugefügt wurden. 

Einen besonderen Wert legt die katholische Kirche darauf zu betonen, dass das eucharistische Opfer letztendlich einzig und allein göttlichen Ursprungs ist: „...wir bringen Deiner erhabenen Majestät von Deinen Geschenken und Gaben ein reines Opfer dar...“. Der Mensch kann von sich aus Gott, der hier in Seiner sittlichen Erhabenheit und majestätischen Überlegenheit („Deiner erhabenen Majestät“) angesprochen wird, nichts vorbringen, was an sich von heilsgeschichtlicher Relevanz wäre und somit das Heil schaffen bzw. verursachen könnte! (Dagegen versündigen sich schwer die sogenannten „Gabenbereitungsgebete“ der „Novus Ordo Missae“ Pauls VI. von 1969, die dem Menschen einen gewissen Anteil an der Urheberschaft des Heils zusprechen wollen. Siehe dazu „Beiträge“/14, S. 23f.) 

Bereits in der Antwort Abrahams auf die Frage seines Sohnes Isaak, wo denn „das Schaf zum Brandopfer“ sei, als er eben Isaak opfern sollte, klingt die Grundwahrheit von der Ohnmacht des Menschen an, Gott etwas Adäquates vorzubringen, etwas, wodurch Gott gewissermaßen verpflichtet wäre, dem Menschen Seine Gnade zu geben: „Gott wird sich das Schaf zum Brandopfer schon ersehen“ (vgl. Gen 22,8). Jesus Christus hat sich nicht nur insofern unser erbarmt, dass Er am Stamme des Kreuzes für uns gestorben ist, sondern auch insofern, dass Er sich selbst der Kirche als ihre eigentliche Opfergabe geschenkt hat, damit sie auf diese Weise Seinem himmlischen Vater Seine Opferliebe darbringen und aus dieser Vereinigung mit dem Opfer Christi zahlreiche Erlösungsgnaden schöpfen könne! 

 

P. Eugen Rissling

 

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