Kurze Messbetrachtung

36. Teil

21. Agnus Dei

a) Auf die Brechung der heiligen Hostie, die Vermischung der beiden eucharistischen Gestalten im Kelch und die abschließende Kniebeuge des Priesters vor dem sich auf dem Altar befindenden Christus folgt im Ritus der Römischen Messliturgie das Agnus Dei. Der zelebrierende Priester verneigt tief seinen Oberkörper, schlägt mit der rechten Hand an die Brust und betet mit vernehmbarer Stimme, wobei er seinen Blick auf die Hostie richtet: „O Du Lamm Gottes, das Du hinweg nimmst die Sünden der Welt: erbarme Dich unser. O Du Lamm Gottes, das Du hinweg nimmst die Sünden der Welt: erbarme Dich unser. O Du Lamm Gottes, das Du hinweg nimmst die Sünden der Welt: gib uns den Frieden.“

Mit der Bezeichnung Christi als das „Lamm Gottes“ spielt die Messliturgie eindeutig auf das Paschalamm des Alten Bundes an. Wie im Buch Exodus beschrieben, musste von jeder israelitischen Familie oder jedem Haus kurz vor deren Auszug aus Ägypten „ein fehlerloses, männliches, einjähriges Lamm“ genommen und an einem bestimmten Tag gegen Abend geschlachtet werden. Mit dem Blut dieses Lammes sollten die beiden Türpfosten und die Oberschwelle des jeweiligen Hauses bestrichen werden. Denn Gott wollte „in dieser Nacht durch Ägypten ziehen und jede Erstgeburt in Ägypten, Mensch und Vieh, töten und über alle Götter Ägyptens Gericht halten, Ich, der Herr. Das Blut an den Häusern, in denen ihr weilt, soll das Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn Ich das Blut sehe, ziehe ich schonend an euch vorüber. Kein Todesverderben soll euch treffen, wenn Ich den Schlag gegen Ägypten führe“ (vgl. Ex 12,1-13).

Und wie wir auch sonst oft sehen, übt das Alte Testament, welches ja an sich unvollkommen, unzureichend und somit völlig ungenügend ist, auch an dieser Stelle eine Art Vorläuferfunktion zum Neuen Bund in Jesus Christus aus. Die im Alten Testament geschilderten wichtigen Geschehnisse erhalten letztendlich nur in den Heilsereignissen des Neuen Bundes ihren eigentlichen Sinn und ihre tiefe gottgewollte (und nicht von Menschen oft fehlinterpretierte!) Bedeutung.

Und so erkennen wir auch, dass jenes Ägypten nichts anderes als die Gottesferne, den Zustand der Sünde, die Verfassung einer sündigen, von Gott getrennten, sich von Ihm willentlich lossagenden Seele versinnbildet. Und jenes „fehlerlose Lamm“ deutet unmissverständlich auf Jesus Christus, den göttlichen Erlöser, den einzigen „Mittler zwischen Gott und den Menschen“ hin, „der sich zum Lösegeld für alle dahingegeben hat“ (vgl. 1 Tim 2,5). Dabei findet jene Schlachtung des „Paschalammes“ ihre eigentliche Erfüllung im Opfertod Christi; und das Blut, welches die damaligen Israeliten durch das Bestreichen der eigenen Häuser vor dem physischen Tod rettete, ist eindeutig ein Hinweis auf das Blut Christi: auf das Blut, welches „uns rein macht von aller Sünde“ (1 Joh 1,7), und auf das Blut Christi, in welchem „wir die Erlösung durch Sein Blut besitzen“ (Eph 1,7)!

Und so sah es auch der hl. Johannes der Täufer, dessen Mutter Elisabeth bei der Begrüßung durch Maria „vom Heiligen Geist erfüllt wurde“, und der selbst dabei im Schoß Elisabeths „frohlockte“ (vgl. Lk 1,41-44). Denn der Wegbereiter Christi bekundete sowohl offen als auch völlig uneigennützig die von ihm erkannte Wahrheit, als „er Jesus auf sich zukommen sah [...]: ´Da ist das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt!´ [...] Und am folgenden Tag stand Johannes wieder da mit zwei von seinen Jüngern. Als er Jesus daherkommen sah, sagte er: ´Da ist das Lamm Gottes!´ Sobald die beiden Jünger ihn so sprechen hörten, folgten sie Jesus nach“ (Joh 1,29.35-37).

Außerdem wird sich Johannes bei dieser Gelegenheit wohl auch an die prophetischen Worte aus dem Buch Isaias erinnert haben, welche vom leidenden Gottesknecht (vgl. Is 53) sprechen (wobei sie die einzelnen Stationen des Leidensweges Christi ziemlich präzise vorhersagen!) und dessen schmerzvolle Pein unter anderem wie folgt beschreiben: „Er wurde misshandelt, doch gab Er sich willig darein, tat Seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird. Wie ein Schaf, das vor seinen Scherern verstummt, tat er den Mund nicht auf“ (Is 53,7)!

Und nun liegt dieses wahre und eigentliche, dieses einzig wirksame und somit die Sünde tilgende „Lamm Gottes“ vor den Augen des Priesters auf dem Altar; nun vollzieht sich in unserer Gegenwart im Opfer der hl. Messe, welche ja die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers ist, jene geistige Schlachtung, der sich Christus am Kreuz zu unserem Heil blutig unterworfen hatte; nun sind wir Augen- und Ohrenzeugen des schaudererregenden Geheimnisses, wie nämlich mit dem Blut Christi, dem Blut „des Neuen und Ewigen Bundes“ (Konsekrationsworte), die Pfosten unserer Seele „bestrichen“ werden und wir Rettung vor dem Strafgericht Gottes erhalten!

Daher rufen wir Christus, das wahre Opferlamm im Agnus Dei sowohl in demütiger Haltung (tiefverneigt) als auch in reumütiger Stimmung der Seele (Pochen an die Brust) zunächst zweimal um Erbarmen („erbarme Dich unser“) und dann zum Schluss noch einmal um den wahren, von Christus her kommenden Frieden („gib uns den Frieden“)! Er möge sich unser erbarmen, uns die Verzeihung unserer Schuld gewähren. Und nachdem wir diese Vergebung erlangt haben, und zwar kraft Seines Blutes, welches ja beim Vollzug des hl. Messopfers ganz konkret auf uns sühnend und somit sündentilgend herabfließt, bitten wir ihn dann noch inständig, Er möge uns (ebenfalls unverdienterweise!) auch Seinen „Frieden hinterlassen“, uns Seinen Frieden „geben“, von welchem Er ja selber sagte, dass die Welt uns ihn niemals wird geben können (vgl. Joh 14,27)!


b) Und „wie Innozenz III. (De sacro alt.myst. VI,4) berichtet, soll es (dieses „Dona nobis pacem - Gib uns den Frieden“) zur Zeit großer Bedrängnis der Kirche eingeführt worden sein“ (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Freiburg 1933, Band II, S.204). So wollen auch wir heute, da doch die wahre katholische Kirche, die Braut Christi, auf eine andere, viel subtilere und somit viel gefährlichere Art und Weise von ihren Feinden bedrängt, angefeindet und bekämpft wird (Liberalismus, Modernismus, Hominismus, Ökumenismus usw.!), uns dieser flehentlichen Bitte um den wahren christlichen Frieden sowohl in unseren Herzen als auch ganz generell in unseren Reihen anschließen, der doch die Grundlage eines gottwohlgefälligen Lebens ist!

In Requiemsmessen, den Messen für Verstorbene mit schwarzer liturgischer Farbe, wird allerdings statt des „Erbarme Dich unser“ zunächst zweimal „Gib ihnen den Frieden“ und dann beim dritten Mal „Gib ihnen den ewigen Frieden“ gebetet, wobei auch nicht mit der Hand an die Brust geschlagen wird. Somit verzichtet da die Kirche sozusagen darauf, um Erbarmen und den Frieden für die Lebenden zu flehen, und will die ganze Opferfrucht der hl. Messe ihren leiden Gliedern im Reinigungsort, dem Fegefeuer, zugewendet wissen.

Interessant ist auch, wie der „Agnus Dei“-Gesang seinen Eingang in den Römischen Messritus fand. Aus den folgenden interessanten Erklärungen erkennt man auch, wie einige apostolische Messriten historisch gesehen einander beeinflussten. „Bei der römischen Brotbrechung wurde ehedem keinerlei Formel gesprochen. Die byzantinische Liturgie aber kennt während der Brotbrechung einen nach den Festzeiten wechselnden Gesang, das sog. Koinonikon, das auch in der spanischen und gallikanischen Liturgie bekannt war und noch jetzt als Confractorium in der ambrosianischen Messe gesungen wird. Die römische Messe erhielt erst durch Papst Sergius I. (701) einen solchen Gesang, das „Agnus Dei“. [...] Papst Sergius war griechischer Herkunft, und sicherlich hat er, der erst im Mannesalter von Sizilien nach Rom kam, es vermisst, dass man in Rom, entgegen dem griechischen Brauche, keinerlei Gesang während der Brotbrechung kannte. Dass er gerade das „Agnus Dei“ dazu bestimmte, mag seine Erklärung damit finden, dass das konsekrierte Brot, welches bei den Griechen geteilt wird, den Namen „Lamm“ trägt. Zudem war das „Agnus Dei“ dem Klerus und dem Volk schon aus dem „Gloria“ bekannt. [...] Die verhältnismäßig späte Einführung dieses Gesanges erklärt sein Fehlen in der Messe des Karsamstags.“ ((Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Freiburg 1933, Band II, S.203f).


P. Eugen Rissling
 

 

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