Kurze Messbetrachtung

32. Teil

19. Paternoster (Fortsetzung)

g) Bei den ersten drei Bitten des Vaterunser richtete sich der Blick des dem hl. Messopfer beiwohnenden Beters auf unseren himmlischen Vater, „der Du bist im Himmel“. Das innere Auge des Priesters und der Gläubigen war gewissermaßen nach oben gewandt, erfüllt von der Betrachtung Seiner Größe, Güte und Erhabenheit. Ihr Gebet verlangte inniglich nach der Heiligung Seines göttlichen Namens, nach dem Kommen Seines überirdischen Reiches und nach der Erfüllung Seines heiligen Willens „wie im Himmel, also auch auf Erden“.

Und nachdem also Gott die Ihm schuldige Ehre und Verherrlichung seitens der Gläubigen (im Umfang, wie es ihnen die menschliche Unzulänglichkeit gestattet) gegeben worden ist, fügen sich in diesem Herrengebet drei Bitten an, in welchen es diesmal um einige wichtige Belange des Menschen geht. Gerade angesichts der Betrachtung der alles überragenden göttlichen Herrlichkeit wird es dem Menschen bewusst, wie arm und schwach er selbst ist, wie sehr er auf die mannigfache Hilfe und den Gnadenbeistand des Himmels angewiesen ist.

Dieser bitteren sowohl geistigen Armut wie leiblichen Gebrechlichkeit gewahr, beginnt der christliche Beter zunächst damit, sowohl für den Leib als auch für die Seele um die entsprechende Speise zu flehen: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Unter dem Begriff „Brot“ verstehen wir, die Menschen, ja ein Grundnahrungsmittel, welches bei den allermeisten Völkern dieser Erde verbreitet und somit als solches anerkannt, und auf welches der Mensch mehr oder weniger substanziell angewiesen ist. Zugleich steht „Brot“ auch stellvertretend für jegliche weitere Art von Nahrung, die der Mensch zum Überleben braucht.

Selbstverständlich wird mit dieser Bitte zunächst um das gebeten, worauf die Wendung „tägliches Brot“ wie von selbst hinweist: auf die von uns täglich benötigte leibliche Speise. Der Mensch bedarf dieser Nahrung des Leibes, um überhaupt physisch am Leben bleiben, um seinen Pflichten in Gesellschaft und Kirche nachgehen, um Gott in dieser Welt wie auch immer dienen zu können. Sind wir ja von Ihm, dem Schöpfer, gerade so erschaffen worden, weshalb wir uns auch nicht schämen dürfen, um dieses „tägliche Brot“ zu bitten, zumal Er uns ja selbst so zu beten lehrte.

Außerdem werden wir dadurch auch tagtäglich wiederholt daran erinnert, wie sehr wir Ihm für den Umstand zu Dank verpflichtet sein müssten, dass wir in jedem Fall das Nötigste zum Auskommen, mehr als bloß genug zum Leben haben. Zumal es auch heute noch viele Menschen gibt, die Hungersnöte erleben und auch tatsächlich den schrecklichen Hungertod sterben. Umso bewusster und andächtiger wollen wir Ihm also unsere aufrichtige Dankbarkeit für die uns gewährten Speise und Trank zum Ausdruck bringen.

Aber diese Formulierung „unser tägliches Brot“ deutet darüber hinaus auch auf eine andere Art von Speise hin, auf die der Menschen ebenfalls substanziell angewiesen ist: die (geistige) Nahrung der Seele! Der Mensch ist nicht für diese irdische Welt allein bestimmt, darin erschöpft sich noch bei weitem nicht sein Lebensziel, der Sinn seines Daseins. Nein, die überirdische und überzeitliche, die höhere und geistige Welt, sozusagen die göttliche Sphäre, Gott, ist letztendlich sein eigentlicher (so genannter) Bestimmungsort!

Da er aber weiß, wie unvermögend er darin ist, sein „Heil mit Furcht und Zittern“ zu wirken (vgl. Phil 2,12), wie leicht er wegen seiner sittlichen Gebrechlichkeit zur Sünde neigt und teilweise geistig sogar völlig entkräftend versagt, bittet er um den Beistand und die Beihilfe Gottes: „Unser tägliches Brot gib uns heute“! Man möchte eben nicht von Gott wie auch immer abfallen und zu Seinen Gegnern zählen. Gerade die Liebe Gottes gebietet uns, um alle für uns nötigen Gnaden und Gaben zu bitten, um bei Ihm vertrauensvoll ausharren und Ihm in Treue dienen zu können.
Dabei sind wir jeden Tag erneut auf diesen Gnadenbeistand Gottes angewiesen und können niemals irgendeine Art von absolut sicherer Vorsorge für die Zukunft treffen. Daher bitten wir Ihn auch tagtäglich von neuem um die geistige Speise für unsere Seele, was auch immer diese Bitte im einzelnen jeweils beinhalten mag. Dieser Umstand des ständig zu erneuernden Gebetes um dieses geistige „tägliche Brot“ möge in uns auch das Bewusstsein um die Notwendigkeit des Vertrauens in die göttliche Vorsehung und Führung wecken und uns dabei lehren, unser ganzes Leben in Seine göttlichen Hände zu legen!

Bei dieser Gelegenheit rufen wir uns auch die Worte Jesu Christi in Erinnerung, die Er über sich selbst als das Himmlische Brot sprach: „Müht euch nicht um die vergängliche Speise, sondern um die Speise, die vorhält zum ewigen Leben, die der Menschensohn euch geben wird“ (Joh 6,27); „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Nicht Moses hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern Mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot Gottes ist Der, der vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben spendet“ (Joh 6,32); „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu Mir kommt, den wird nicht mehr hungern; und wer an Mich glaubt, den wird nicht mehr dürsten“ (Joh 6,35). Wollen wir also in Ihm die Quelle des wahren Lebens und des göttlichen Heils schlechthin sehen, wie Er es von uns ja auch erwartet, damit wir (in Ihm!) tatsächlich das „ewige Leben“ finden!

Ferner heißt es im Evangelium aus dem Mund Christi, als Er sich als das Eucharistische Lebensbrot (!) bezeichnete: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esset und Sein Blut nicht trinket, habt ihr kein Leben in euch. Wer Mein Fleisch ist und Mein Blut trinkt, der hat ewiges Leben. [...] Denn Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und Mein Blut ein wahrer Trank. Wer mein Fleisch isst und Mein Blut trinkt, der bleibt in Mir und Ich in ihm. [...] Wer dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit“ (Joh 6,53-58).

Daher beinhaltet unsere Bitte um das „tägliche Brot“ im Zusammenhang mit der hl. Messe auch die Bitte um einen würdigen und fruchtbringenden Empfang der hl. Kommunion, des konsekrierten Leibes unseres Herrn Jesus Christus. Denn hier empfangen wir in der Gestalt der weißen Hostie wirklich niemand geringeren als Gott selbst, der zu unserem Heil auf diese Welt kam, Sein am Kreuz zu unserem Heil dargebrachtes schmerzvolles Opfer im Opfer des hl. Messe sakramental-unblutig erneuert und dann schlussendlich eben zur dieser geistigen Speise für unsere Seelen wird.

Und im Dritten Buch der Könige lesen wir bereits im Alten Testament nach, wie Gott konkret den Menschen stärken, wie Er ihm auf dessen Lebensweg beistehen kann. Denn nachdem Gott das Opfer der heidnischen Baalpriester verwarf und dagegen das Opfer des Propheten Elias auf so wundersame Weise annahm, floh dieser vor dem Zorn der Königin Jezabel, die ihm wegen ihrer eigenen Anhänglichkeit an heidnische Kulte nach dem Leben trachtete.

„Als er nach Bersabee in Juda kam, ließ er dort seinen Diener zurück. Er selbst ging einen Tagemarsch weit in die Wüste hinein und setzte sich dann unter einem Ginsterstrauch nieder. Er hatte nur noch den Wunsch zu sterben und flehte: ´Nun ist es genug. Nimm, o Herr, mein Leben hin; denn ich bin nicht besser als meine Väter!´ Hierauf legte er sich hin und schlief unter dem Ginsterstrauch ein. Plötzlich stieß ihn ein Engel des Herrn an und sagte zu ihm: ´Steh auf und iss!´ Als er aufsah, erblickte er zu seinen Häupten einen gerösteten Brotfladen und einen Krug Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder schlafen. Aber der Engel kam noch einmal, stieß ihn an und sagte: ´Steh auf und iss! Sonst ist der Weg für dich zu weit.´ Er stand auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb“ (3 Kön 19,3-8).

Wir, die heutigen katholischen Christen, ähneln wir gelegentlich nicht auch dem Propheten Elias, der vor lauter Widersacher und Widerspruch keine Perspektive mehr sah und entkräftet aufgeben wollte? Aber durch den „Engel des Herrn“ wurde ihm in der Wüste eine Stärkung bereitet, damit er seine ihm von Gott gestellte Aufgabe erfüllen konnte. So bitten auch wir den Herrgott im vierten Gebet des Paternoster, uns möge in der Gestalt des katholischen Priesters ebenfalls ein „Engel des Herrn“ geschickt werden, damit wir in der „Wüste“ der Gottesferne und Gottlosigkeit, von welcher wir heute nicht selten umgeben sind, in der hl. Eucharistie, dem konsekrierten Leib Christi, gleichermaßen die himmlische Stärkung für unsere Seele erhalten, um auch unsererseits Seinen Willen hier auf Erden realisieren und schlussendlich „zum Gottesberg Horeb“, dem „Himmlischen Jerusalem“ (vgl. Offb 21,9-22,5), pilgern zu können: „Unser tägliches Brot gib uns heute“!

P. Eugen Rissling

 

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