Kurze Meßbetrachtung


4. Teil


Stufengebet (Fortsetzung) 

Durch das gläubige Beten dieses Psalms wird dem Priester bewußt, welcher großen und alles andere überragenden Berufung er teilhaftig geworden ist. Ist er ja “für die Menschen in ihren Angelegenheiten bei Gott bestellt”, um für ihre Sünden Gaben und Opfer darzubringen (vgl. Hebr 5,1), um sie mit Gott zu versöhnen. In diesem Augenblick kommen ihm allerdings auch seine eigenen Sünden und Verfehlungen, seine sittliche Unzulänglichkeit und Schwäche vor die Augen. So erwacht in ihm das Verlangen nach der inneren Reinigung, denn ohne ein reines Herz ist es unmöglich, Gott zu schauen (vgl. Mt 5,8)! 

In dieser Gesinnung spricht er das darauf folgende liturgische Sündenbekenntnis, indem er es mit “Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn. Der Himmel und Erde erschaffen hat” einleitet und dabei ein Kreuzzeichen macht. Unsere ganze Hoffnung beruht allein auf dem Herrn, der Seine Allmacht und Souveränität durch den Schöpfungsakt glänzend unter Beweis gestellt hat. Um seine innere Haltung der tiefsten Demut vor Gott zu bekunden, verneigt der Priester seinen Oberkörper und spricht das Schuldbekenntnis. Die Menschen haben durch ihren Stolz und Hochmut gesündigt. Der Weg zurück zu Gott führt nur durch das Klein-Werden wie die (kleinen) Kinder, die weder List noch Lüge noch sonstige Bosheit im Schilde führen, sondern offen, ehrlich und unverdorben sind: “Wahrlich, Ich sage euch: wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr in das Himmelreich niemals eingehen. Wer sich also gering macht wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich” (Mt 18,3f.). Zuerst bekennt der Priester seine Schuld “Gott dem Allmächtigen”, weil sich jede Sünde - auch die gegen den Nächsten - letztendlich gegen Gott wendet. Voll Zerknirschung legt er dieses Bekenntnis ab, weil er weiß, daß die Sünde das größte Übel ist, da sie ja die selbstlose und opferbereite Liebe Gottes verletzt. Ein Mensch, der (wissentlich) sündigt, ist nicht bereit, sich die Gesinnung und Haltung Jesu Christi anzueignen und Seinen heiligen Willen im eigenen Leben über alles gelten zu lassen. Somit entfremdet und entfernt die Sünde den Menschen von seinem Schöpfer und Erlöser. 

Jede Sünde hat auch eine soziale Komponente. Durch die Übertretung der Gebote Gottes wird das Böse auf dieser Welt vermehrt und direkt oder indirekt auch der gesamten Menschheit ein Schaden zugefügt. Deshalb fühlt sich der Priester veranlaßt, seine Schuld zunächst auch den Heiligen des Himmels zu bekennen. Als erste in dieser Reihe wird “die allerseligste, immerwährende Jungfrau Maria” genannt. Ihre Unbeflecktheit besteht nicht nur in der leiblichen Jungfräulichkeit, die sie vor, während und nach der Geburt des Gottessohnes besaß bzw. besitzt. Vor allem ist in diesem Zusammenhang ihre innere, geistige Reinheit des Herzens zu erwähnen, die in dem entschiedenen Willen zum Ausdruck kam, Gott über alles zu lieben und Seinen Willen bedingungslos über sich gelten zu lassen: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort” (Lk 1,38)! Ihr folgt der “hl.Erzengel Michael”, der mit den anderen Engeln, für die er hier stellvertretend genannt wird, einen “großen Kampf im Himmel” gegen den Teufel und dessen Helfershelfer geführt und den Sieg errungen hat (vgl. Offb 12,7-9). Ferner findet der “hl.Johannes der Täufer” eine Erwähnung, der ernste Mahner zur Umkehr und Buße. Christus selbst bezeugt, daß Johannes der größte der (bis dahin) Geborenen war (vgl. Mt 11,11). In ihm - als noch dem Alten Bund zugehörig - kann man die alttestamentarischen Gerechten, Patriarchen und Propheten erblicken. 

Der “hl.Apostel Petrus” bekannte die Gottessohnschaft Jesu Christi und erhielt von Ihm “die Schlüssel des Himmelreiches” (vgl. Mt 16,16-19). Als Apostel besitzt auch der “hl.Paulus” die höchste Binde- und Lösegewalt (vgl. Mt 18,18) sowie die Vollmacht, auf Erden Sünden nachzulassen und zu behalten (vgl. Joh 20,22f.). Zwar bekennt der Priester im Römischen Meßritus namentlich nur diesen zwei Aposteln seine Schuld, die in Rom ihr Leben für Christus hingaben. Diese stehen aber stellvertretend für das ganze Apostelkollegium da. Von Reue ergriffen möchte der Priester vor jedem einzelnen Heiligen ein Schuldbekenntnis ablegen. Da dies aber nicht möglich ist, tut er es vor “allen Heiligen” gemeinsam. Aber nicht nur jene, die ihr Ziel in der Ewigkeit bereits erreicht haben, werden Zeugen seiner Reue, sondern auch die gesamte anwesende Gemeinde. Bei den Worten “und euch, Brüder” wendet der Priester sein Haupt leicht den knienden Altardienern zu. Ist es nicht ergreifend, wenn er sogar dem kleinsten Ministranten und jüngsten Gottesdienstteilnehmer seine sittliche Unzulänglichkeit eingesteht? Jenen Teil der allgemeinen Schuld der Menschheit, für den er persönlich verantwortlich ist, möchte der Priester nicht abstreiten oder leugnen. Er versucht nicht einmal, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Vielmehr gibt er zu, “viel gesündigt” zu haben, und zwar durch jede Art von Sünden: “in Gedanken, Worten und Werken”. 

Die Menschen neigen dazu, die Schwere des eigenen Verschuldens ungebührlich abmildern und abschwächen zu wollen. Aber im Wissen, daß Gott in das Innere des Herzens sieht und die tiefsten Geheimnisse des Menschen kennt, bekennt der Zelebrant freimütig, seine Sünden begangen zu haben “durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld”. Zugleich schlägt er mit der rechten Hand dreimal auf die Brust, um durch seine aufrichtige Reue bei Gott, der ein reuiges und demütiges Herz nicht verschmäht (vgl. Ps 50,19), Verzeihung zu finden. Seine Hoffnung ist nicht unbegründet, vor ihm hat sich der Herr vieler Sündern erbarmt, wofür es im Evangelium zahlreiche Belege gibt. Im apostolischen Glaubensbekenntnis legen wir das Bekenntnis an “die Gemeinschaft der Heiligen” ab. Alle durch die Taufe Wiedergeborenen, alle in Christus Erlösten bilden eine Gemeinschaft: den mystischen Leib Christi, die Katholische Kirche. Zwar hat in ihr - wie in jeder anderen Körperschaft - jedes Glied seine eigene, ihm von Gott zugewiesene Aufgabe erhalten, nichtsdestoweniger ist jeder für jeden mehr oder weniger mitverantwortlich. Deshalb weiß sich der katholische Christ nicht allein - er ist mit der ganzen katholischen Kirche, d.h. auch mit allen Heiligen des Himmels verbunden. 

Daher wendet er sich auch sowohl an diese Heiligen, die alle die Heiligkeit des Lebens auf eine je eigene Art und Weise erreicht haben und nun vor dem Throne Gottes stehen und Ihm Tag und Nacht in Seinem himmlischen Tempel dienen (vgl. Offb 7,15), als auch an die versammelte Gemeinde, da wir doch alle füreinander beten sollen (vgl. Kol 1,3; 4,3; 2 Thess 1,11; 1 Thess 5,25): “Darum bitte ich die selige, immerwährende Jungfrau Maria, den hl. Erzengel Michael ... alle Heiligen, und euch, Brüder, für mich zu beten bei Gott unserem Herrn”. Im Vertrauen auf die besondere Fürsprachekraft der Engel und Heiligen, die sie beim Herrgott besitzen, da sie Ihm doch ganz nahe stehen, geht sie der Priester in seiner Not an. Das Volk kann diese inständige Bitte des Priesters nicht unbeantwortet lassen: “Es erbarme Sich deiner der allmächtige Gott; Er lasse dir die Sünden nach und führe dich zum ewigen Leben”. Nach dem “Amen” des Priesters erhebt sich dieser und verfolgt aufmerksam das allgemeine Sündenbekenntnis des Volkes, das nun von den Altardienern auf dieselbe Weise vorgetragen wird. 

Die versammelten Gläubigen haben ebenfalls ihre Freude über die unverdiente Gnade, vor Gott erscheinen und Ihm dienen zu dürfen, zum Ausdruck gebracht. Im Wissen um die eigene sittliche Gebrechlichkeit bekennen sie vor Gott, den Heiligen und dem Priester ihre Schuld. Dem frommen Wunsch “Es erbarme Sich euer...” fügt der Priester unter Bekreuzigung noch das Gebet zu: “Nachlaß, Vergebung und Verzeihung unserer Sünden schenke uns der allmächtige und barmherzige Herr”. Die Allmacht des Herrn kann auch in Seiner Bereitschaft zur Vergebung erblickt werden. Alle schließen sich diesem Gebet durch das “Amen” der Altardiener an. Zum Zeichen der Anerkennung der Oberhoheit Gottes über jegliche Kreatur spricht der Priester den letzten Teil des Stufengebetes (in Abwechslung mit den Altardienern) mit leicht geneigtem Haupt: “Gott, wende Dich uns zu und gib uns neues Leben - Dann wird Dein Volk in Dir sich freuen. Erzeige, Herr, uns Deine Huld - Und schenke uns Dein Heil. Herr, erhöre mein Gebet - Und laß mein Rufen zu Dir kommen”. Nur im Frieden mit Gott kann der Mensch sein eigenes Glück und den Frieden seiner Seele finden. Nun begrüßen sich der Zelebrant und die Gläubigen mit dem uralten wie tiefgründigen Segensgruß: “Der Herr sei mit euch - Und mit deinem Geiste”. Nichts anderes wünscht man sich gegenseitig als die Gegenwart des ewigen und lebendigen Gottes! 

Jerusalem, die hl. Stadt des Alten Bundes, wurde auf einer Anhöhe erbaut und konnte daher von weit gesehen werden. Auch der Jerusalemer Tempel selbst, das Heiligtum der Juden, lag auf einem Hügel, dem Berg Sion. “Das neue Jerusalem” (Offb 21,2), die Stadt auf dem Berge, sollte um so mehr für alle Völker sichtbar sein (vgl. Offb 21,10; Mt 5,14). Deshalb wurde das katholische Gotteshaus gern auf einer Anhöhe gebaut. Aus demselben symbolischen Grund steht auch der Altar in der Kirche etwas höher: nicht nur zum Zweck des besseren Blicks auf das Altargeschehen - in ihm soll auch der “heilige Berg” Gottes erblickt werden! 

Nach Beendigung des Stufengebetes schreitet der Priester die Stufen des Altares hinauf und verrichtet ein sehr schönes Gebet: “Lasset uns beten. (Dabei öffnet und schließt er unter der Verneigung des Hauptes seine Arme auf Schulterhöhe.) Herr, wir bitten Dich: nimm unsere Sünden von uns weg und laß uns mit reiner Seele ins Allerheiligste eingehen. Durch Christus, unseren Herrn. Amen”. Wie im Alten Bund (allein) der Hohepriester einmal im Jahr am Versöhnungstag das Allerheiligste des Jerusalemer Tempels betreten durfte, um das (letztendlich unzulängliche) Entsühnungsopfer darzubringen (vgl. Lev 16,2f.), so tritt jetzt der neutestamentliche Priester an den Altar Gottes heran, um durch die Darbringung des wahren Opferlammes Jesus Christus wirksam die Versöhnung des (gläubigen) Volkes mit Gott zu erreichen. 

Weil sich laut Vorschrift der Kirche im Altar Reliquien von heiligen Martyrern befinden müssen, küßt der Priester, oben angelangt, beim Sprechen des folgenden Gebetes in ehrfürchtiger Liebe den Altar in der Mitte: “Herr, wir bitten Dich: durch die Verdienste Deiner Heiligen, deren Reliquien hier ruhen, sowie aller Heiligen, verzeih mir gnädig alle Sünden. Amen”. Dieser Altarkuß ist ein Zeichen der Verehrung der Martyrer, die die Treue zum göttlichen Erlöser mit ihrem Blut unter Beweis gestellt haben. Auch werden sie dadurch indirekt um ihre Fürbitte angerufen. Ebenfalls ist der Altarkuß ein Zeichen der Liebe zu Christus und Ehrfurcht vor Ihm, dessen Sinnbild ja der Altar ist. Endlich ist der Priester am Altar angelangt und begrüßt auf diese eindrucksvolle Weise seinen Hohepriester! 

Bei einem feierlichen Hochamt wird nun der Altar beweihräuchert. Der Weihrauch zeichnet sich dadurch aus, daß er sich vollständig auflöst, und sein wohlriechender Duft nach oben steigt. Deshalb benutzt ihn die Kirche als Sinnbild der in Gottesliebe sich verzehrenden und aufopfernden Seele! Der Hohepriester des Alten Bundes durfte nicht das Allerheiligste (am Versöhnungstag) ohne Räucherwerk betreten. So schwenkt auch der neutestamentarische Priester (schweigend) das Rauchfaß nach einer bestimmten Ordnung und erfüllt dadurch das ganze Gotteshaus zur Zeit der Vergegenwärtigung des versöhnenden Opfers Christi mit lieblichem Wohlgeruch. Nach Auffassung der Kirche besitzt der Weihrauch eine reinigende Wirkung - die Opferstätte des Neuen Bundes soll nach erfolgter vollständiger Reinigung für das Eucharistische Opfer gerüstet sein. Im Tempeldienst des Alten Bundes bildete der Weihrauch sogar ein eigenes Nebenopfer. In der Kirche versinnbildet er die zu Gott aufsteigenden Gebete der Gläubigen: “Dann kam ein anderer Engel und trat mit einem goldenen Rauchfaß vor den Altar. Ihm wurde viel Räucherwerk gegeben, damit er es mit den Gebeten aller Heiligen auf den goldenen Altar vor dem Throne Gottes lege. Der Duft des Räucherwerks stieg mit den Gebeten der Heiligen aus der Hand des Engels zu Gott empor” (Offb 8,3f.). 

Außerdem dient der Weihrauch dem Zweck der Anbetung und Verehrung Gottes, woran uns die Worte des Zelebranten erinnern, mit denen er ihn beim Einlegen in das Rauchfaß segnet: “Es segne dich Derjenige, zu Dessen Ehre du verbrennst”. Neben Gold und Myrrhe gehörte auch Weihrauch zu den Geschenken der drei Weisen aus dem Morgenland, die sie dem “neugeborenen König der Juden” mitbrachten. Der Weihrauch wird immer Gott zum Zeichen der Anbetung dargebracht. Die Beweihräucherung des Priesters, die zum Schluß noch zu erfolgen hat, ist nicht nur als seiner (ergänzenden) Reinigung dienend, sondern auch als ein kirchlicher Ehrenerweis dem in persona Christi handelnden Zelebranten gegenüber zu verstehen. 

 

P. Eugen Rissling



 

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