Katholiken in der Ukraine
■ Wie uns ja aus der Kirchengeschichte hinlänglich bekannt ist, hat sich im Jahre 1054 das große und folgenschwere Schisma zwischen der Ost- und der Westkirche ereignet, welches dem gläubigen Volk in praktischer Hinsicht teilweise erst gewisse Zeit später richtig bewusst geworden ist. Man hat sich aufgrund der verschiedenartigen Kulturkreise, in denen man sich bewegte, und auch wegen voneinander abweichender historischer Entwicklungen bereits in den Jahrhunderten zuvor ziemlich auseinander gelebt. So wuchs mit den psychologischen Differenzen, die damit einhergingen, leider auch das Misstrauen zueinander, mit welchem man sich begegnete.
Neben einigen anderen bestand eine der entscheidendsten Ursachen für dieses Schisma darin, dass die östliche oder auch byzantinisch genannte Christenheit, die man heute gewohnheitsmäßig griechisch-orthodox nennt, nicht den Jurisdiktionsprimat des Papstes anerkennen wollte. Man hat ihm zwar den Ehrenprimat zugestanden, nicht aber jene Leitungsvollmacht über die ganze Kirche, die sich ja klar aus der Verheißung Jesu an den hl. Apostel Petrus ableiten lässt: “Du bist Petrus. Auf diesen Felsen will Ich Meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreiches geben. Was immer du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was immer du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein” (Mt 16,18f).
Da diese Spaltung verständlicherweise als ein großes Ärgernis empfunden wurde, kam es danach immer wieder zu Unionsbemühungen zwischen der Rom und Byzanz. Vor allem machte sich um diese Union das Konzil von Ferrara-Florenz (1438-1442) verdient, auf welchem nach zähem theologischem Ringen das von den anwesenden griechischen Bischöfen unterschriebene Unionsdekret “Laetentur coeli” am 6. Juli 1439 von Papst Eugen IV. verkündet wurde. Im Laufe der darauffolgenden Monate und Jahre wurden von Rom Unionsverhandlungen auch mit einigen anderen Teilen der östlichen Christenheit geführt und dann von Erfolg gekrönt. So nahmen im November 1439 die bisher monophysitischen Armenier, im Februar 1442 gleichfalls monophysitischen Jakobiten in Ägypten und Äthiopien die Union mit Rom an. Im September 1444 unierten sich dann auch die ostsyrischen Jakobiten und im August 1445 Gruppen der Chaldäer (bisher Nestorianer) und Maroniten (bisher Monotheleten) auf der Insel Cypern.
Und obwohl alle strittigen theologischen Punkte sachlich ausgeräumt wurden, hielt die auf dem Konzil Ferrara-Florenz geschlossene Union mit den Griechen leider nicht an. Das Mönchtum im östlichen Byzantinischen Reich lehnte sich gegen die Union mit Rom an und beschimpfte ihre Bischöfe als Verräter, worauf die meisten von diesen ihre Unterschrift leider zurückzogen. Somit hat die geschlossene Union in der Praxis nicht gehalten. Nur einige wenige Bischöfe hielten zu ihrer Unterschrift, unter welchen vor allem der gelehrte Metropolit Bessarion von Nicäa (1439 zum Kardinal erhoben und nach dem Konzil in Italien geblieben) und der Metropolit Isidor von Kiew hervorzuheben sind.
Allerdings kam es gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu einer wenigstens teilweise positiven Bewegung auf dem Gebiet der Union mit den Orthodoxen. “Im Gefolge der Reform- und Propagandatätigkeit der Jesuiten in Polen kam es zu Wiedervereinigungsbestrebungen mit einem Teil der russisch-schismatischen Kirche, näherhin mit den Ruthenen oder Kleinrussen, die unter polnische Herrschaft gelangt waren. Die ruthenischen Bischöfe beschlossen unter dem Vorsitz des Metropoliten von Kiew auf der Synode von Litauisch-Brest (auch Brest-Litowsk genannt - Anm. der Red.) 1595, die Union mit der lateinischen Kirche auf Grund des Florentiner Dekretes von 1439 durchzuführen. Nachdem Papst Klemens VIII. die Bestätigung gegeben hatte, wurde sie auf der Synode zu Brest im Okt. 1596 verkündet und vollzogen. Ihren Ritus und die Priesterehe durften die Ruthenen (Ukrainer - Anm. der Red.) beibehalten. Es fehlte aber nicht an heftiger Gegnerschaft und die gefährliche Eifersucht des schismatischen Russland regte sich.” (Bihlmeyer, K., Tüchle, H., Kirchengeschichte. Verlag Ferdinand Schöningh 1961, Band III, S. 197)
So wurde Josaphat Kuncewicz, der Basilianermönch, Prior und später Archimandrit in Wilna und zuletzt Erzbischof von Polozk war und als der Hauptvorkämpfer der Wiedervereinigung mit Rom in Erscheinung trat, von den Schismatikern im Jahre 1623 zu Witebsk sogar grausam ermordet. Seine Heiligsprechung erfolgte im Jahre 1867, sein Fest wird nach dem kirchlichen Kalender der römisch-katholischen Kirche am 14. November begangen. Somit verwundert es uns nicht, dass sich dieser Heilige einer sehr großen Verehrung unter den unierten ukrainischen Gläubigen erfreut, die man heute allgemein auch als griechisch-katholisch bezeichnet.
Wegen ihrer Treue zu Rom mussten im russischen Zarenreich im Lauf der letzten Jahrhunderte auch viele andere griechisch-katholische Kleriker und Laien Verfolgung erleiden. Einige Male wurden Teile von ihnen zwangsweise Moskau unterstellt, insgesamt konnten aber die Union erhalten bleiben. Zu einer der herausragendsten Persönlichkeiten dieser ukrainisch-katholischen Kirche zählt Metropolit Graf Andrij Szeptyckyj, der seit 1900 Erzbischof von Lemberg, heute Lwiw, war. Durch Hirtenbriefe, durch die Gründung der Studiten (einer ukrainisch-katholischen Mönchsgemeinschaft), der theologischen Zeitschriften und der theologischen Akademie Lemberg sowie durch mehrere Synoden erneuerte er “das kirchliche Leben der Unierten (Ruthenen). Er verteidigte sie mutig gegen Unterdrückungsversuche der russischen (Szeptyckyj war 1914-17 verhaftet) und polnischen Regierung (besonders 1938-39) sowie der sowjetischen und nationalistischen Besetzung. Als Protektor des unierten byzantinisch-slawischen Ritus in Russland vor dem 1. Weltkrieg war er bemüht, die Union auszuweiten.” (LthK, Herder 1964. Band 9, Sp.1265f)
Besonders hart traf es diese Katholiken nach dem 2. Weltkrieg. “Den größten Erfolg konnte die russische Kirche mit der Zerschlagung der unierten Kirchen verzeichnen. Die früher polnische Westukraine mit 4,5 Mill. unierten Ruthenen kam 1944 unter russische Herrschaft. Nach dem Tode des hochangesehenen unierten Metropoliten Graf Scheptyckyj gelang es, 40 Priester für die Aufhebung der Union mit Rom zu gewinnen. Sämtliche 5 Bischöfe des Landes mit dem neuen Metropoliten Slipyi wurden verhaftet und verurteilt und die schismatischen Priester mit der Leitung der Kirche betraut. Auf einer von ihnen einberufenen Synode in Lemberg, an der nur ein Zehntel der Geistlichen des Landes teilnahm, wurde 1946 der Anschluss an die Moskauer Kirche beschlossen. Damit war nach 350jährigem Bestand die Union von Brest zerschlagen. Mit ähnlichen Methoden erfolgte 1949/50 auch die Überführung der ruthenischen Kirche in der Slowakei und ehemals tschechoslowakischen, jetzt russischen Karpatho-Ukraine mit rund einer halben Million von Gläubigen.” (Bihlmeyer, K., Tüchle, H., Kirchengeschichte. Verlag Ferdinand Schöningh 1961, Band III, S. 554f)
Wie Angehörige vieler anderer Völker und Nationalitäten so wurden nach dem 2. Weltkrieg auch viele Ukrainer von der Sowjetmacht aus verschiedenen politischen Gründen in den östlichen Teil der Sowjetunion verschleppt, verbannt oder umgesiedelt. Auf dieselbe Art der berühmt-berüchtigten sowjetischen “Freiwilligkeit” kamen auch mehrere ukrainisch-katholische Priester in den asiatischen Teil der UdSSR, die dann ebenfalls ihre Gläubigen heimlich pastoral betreuten. So lebte die griechisch-katholische Kirche trotz der Repressalien seitens des atheistischen sowjetischen Staates im Lauf mehrerer Jahrzehnte im Untergrund weiter.
Dabei ist es interessant, dass diese griechisch-katholischen Priester die Vollmacht besaßen, die hl. Messe in beiden Riten zu feiern. Für die Katholiken des eigenen Ritus zelebrierten sie nämlich die Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus bzw. an einigen wenigen Tagen des Jahres die des hl. Basilius des Großen, wie es nach dem Byzantinischen Ritus überall so üblich ist. Waren sie aber unter Gläubigen des Römischen Ritus (Deutsche, Polen, Litauer), verwendeten sie den (überlieferten) Römischen Messritus. So durfte der Autor dieser Zeilen in seiner Jugendzeit in Kasachstan ebenfalls zwei Priester und sogar einen Untergrundbischof der ukrainisch-katholischen Kirche kennen lernen bzw. er wurde von ihnen teilweise ebenfalls seelsorglich betreut. So erhielt er von einem dieser Priester sogar das Sakrament der hl. Firmung - diese Priester dürfen in Entsprechung zu kirchlichen Bestimmungen ganz regulär firmen.
So wurde von einigen dieser Priester im Untergrund die Ausbildung von Priesteramtskandidaten betrieben (es gab heimliche Untergrundseminarien), welche dann natürlich auch geweiht wurden (heimlich). Durch die gelegentliche Spendung von Bischofsweihen wurde in der Ukraine und anderswo in den eigenen Reihen auch die Apostolische Sukzession erhalten.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit des ukrainischen Staates erhielt in den frühen 90-er Jahren des 20. Jahrhunderts auch die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine sowohl ihre Unabhängigkeit (von der russischen Orthodoxie) als auch viele ihrer früheren Kirchengebäude zurück. Mit dieser politischen Wende wurde sie nun aber einer anderen großen Gefahr ausgesetzt - dem sich auch in ihren Reihen einschleichenden Modernismus! Während man früher vom Westen abgeschnitten war, konnte sie auch die Pest der modernistischen “Neuerungen” nicht gut erreichen. Nun aber, da es keine politischen Barrieren mehr gab, wollte man ebenfalls “auf der Höhe der Zeit” sein bzw. sich dem neuen Rom anpassen.
Es hat leider auch da eine Reihe von “Neuerungen” gegeben - sowohl auf dem Gebiet der Theologie als auch der Liturgie. So hört man zum Beispiel von Vorwürfen einiger der in die offiziellen Strukturen eingebundenen Priester an die Adresse des jetzigen Großerzbischofs von Lemberg, dieser würde gefährliches Gedankengut eines Teilhard de Chardin vertreten. Auf liturgischem Gebiet nahm man eine Reihe von Kürzungen vor, die zwar (noch?) nicht die Gültigkeit der hl. Messe und der Sakraente betreffen, aber dennoch eine höchst gefährliche Einstellung offenbaren.
■ So wandte sich vor ca. 2,5 Jahren ein jüngerer griechisch-katholischer Priester aus der Westukraine an uns mit der Bitte, in kirchlicher Gemeinschaft mit einem traditionalistischen katholischen Bischof zu stehen. Von der Existenz von S.E. Bischof Mark A. Pivarunas erfuhr er aus dem Internet. Selbst 1996 zum Priester geweiht erkannte er Anfang dieses Jahrzehnts “den gefährlichen Einfluss der Ideen des 2. Vatianischen Konzils”, wie er Seiner Exzellenz in seinem ersten Brief schrieb. Zur selben Zeit kehrte er auch zur Zelebration der hl. Messe zurück, wie es vor Beginn der “Reformen” Brauch war. Unter anderem gab er das in der Zwischenzeit eingeführte Ukrainische als liturgische Sprache auf und begann, in der ursprünglichen kirchenslawischen Sprache zu zelebrieren. Wegen dieser Schritte wurde er auch von seinem damaligen Bischof “suspendiert”.
Dieser P. Roman Zdyrko war zwischendurch Mitglied der in enger Verbindung mit der Piusbruderschaft stehenden Priestergemeinschaft St. Josaphat, welche praktisch dieselben theologischen Positionen vertritt wie Econe. Durch negative Erfahrungen mit der Leitung dieser Gemeinschaft und das Erkennen der Widersprüche in deren Haltung den heutigen modernistischen “Päpsten” in Rom gegenüber sah sich P. Roman Zdyrko veranlasst, mit dieser Gruppe zu brechen.
Anfang dieses Jahres konnte seine jetzige Gemeinde in einer Bezirkhauptstadt im Landkreis Ternopol eine eigene kleine Kapelle errichten, wo jetzt an Sonn- und Feiertagen regelmäßig zelebriert wird. Die hl. Messe an Werktagen hält dieser Priester in seiner Hauskapelle in einem etwa 30 km entfernten Dorf.
Das erste Mal traf ich P. Roman im April 2007 in Moskau. Bereits damals lud er mich ein, ihn in der Ukraine zu besuchen. Jetzt, nach der Errichtung der neuen Kapelle, erneuerte er diese Einladung und ergänzte sie mit der Bitte, diese Kapelle einzuweihen. Zwar habe ich ihm gesagt, er solle doch nicht länger warten und sie eben selbst einweihen. Aber seine Antwort lautete, dass er warten wolle, bis ein anderer Priester (zumal des Römischen Ritus) komme, um seinen Gläubigen die Katholizität der Kirche praktisch zu zeigen!
So konnte ich nun Anfang Juli 2009 doch in die Westukraine reisen und hatte dabei das Privileg, diese Kapelle einzuweihen! Erfreulich war, dass auch P. Alexander Kryssov aus Moskau dorthin kommen und allem beiwohnen konnte. Am Sonntag, den 5. Juli, wurde nun diese Kapelle auf den Namen der Geburt Jesu geweiht. Während der hl. Messe, die ich feiern durfte, ging auch ein Mädchen zur Erstkommunion, in der Predigt sprach P. Alexander über die Frage, warum wir in dieser Kapelle und eben nicht in den sonstigen schönen Kirchen und Kathedralen versammelt sind. Bei diesen Feierlichkeiten konnten die betreffenden griechisch-katholischen Gläubigen von P. Roman zweimal der hl. Messe nach dem überlieferten Römischen Messritus beiwohnen, wozu sie ja in der Ukraine keine Möglichkeit haben.
Bei der Anreise in Lemberg/Lwiw trafen wir noch einen anderen jungen Priester, der erst kürzlich von einem der früheren Untergrundbischöfe zum Priester geweiht wurde. Er befand sich als Seminarist 6 Jahre im Priesterseminar der Gemeinschaft St. Josaphat, welches er somit auch abschloss. Da er aber schon damals Sympathien mit der Position des heutigen Sedisvakantismus empfand (das heißt er konnte Johannes Paul II. und Benedikt XVI. schwerlich als rechtmäßige katholische Päpste anerkennen), wollte er sich auch nicht von einem der Bischöfe der Piusbruderschaft weihen lassen.
Während seiner Seminarzeit wurde er dort von einem (deutschen) Priester der Piusbruderschaft insofern wahrheitswidrig instruiert, dass es zwar katholische Priester gebe, die (in Abweichung zur Position der Pius- und Josaphatbruderschaften) die Position des Sedisvakantismus vertreten, aber keine echten Bischöfe. So wusste er bis kurz nach seiner Priesterweihe nicht, dass es auch römisch-katholische Bischöfe gibt, die konsequent die “Reformen” des Modernismus ablehnen und nicht mit der “Konzilskirche” um eine wie auch immer geartete “Anerkennung” buhlen.
Dieser junge Priester schloss sich uns dann am Sonntag ebenfalls an, so dass wir insgesamt 4 Priester waren! Wir konnten miteinander auch viele interessante Gespräche zu theologischen und pastoralen Fragen führen bzw. uns in unseren entsprechenden priesterlichen Erfahrungen austauschen. In sehr guter Erinnerung ist mir auch die Ernsthaftigkeit und rührende Gastfreundschaft der Gläubigen geblieben, die über dieses freudige Ereignis höchst erfreut waren, welches ihnen hoffentlich einen positiven Impuls gegeben hat!
Wollen auch wir im Westen uns daran erinnern, dass es auch in den Ländern der früheren Sowjetunion Katholiken gibt, die früher unter widrigsten Umständen den Glauben bewahrt und nun ebenfalls tapfer und konsequent dem Virus des Modernismus widerstehen. Wir gehören zusammen zu der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche, welche Jesus Christus gestiftet und die Ihm nun aufrichtig zu dienen hat! Bleiben wir aber gegenseitig auch im Gebet füreinander verbunden!
P. Eugen Rissling
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