Das Gespräch mit Gott


Über vier Monate ist es nun schon her, dass ich wieder hier in Amerika im Priesterseminar bin. Das geregelte Leben nimmt seinen Lauf. Eines der schönen Dinge, die ich während der Ferien vermisst habe, ist das gemeinsame Gebet. Es ist sehr hilfreich, gemeinsam mit seinen Mitseminaristen zum Beispiel das Stundengebet zu beten. Wie sagt doch schon der Psalmist "oh quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum" - "oh wie gut und angenehm ist es, wenn Brüder in Gemeinschaft leben". Ein anderes gemeinsames Gebet ist unsere morgentliche halbstündliche Meditation. Es ist nicht einfach, herauszufinden, was Meditation eigentlich ist, und wie man sie am besten gestaltet. Auf meiner Suche nach einer geeigneten Methode ist mir das Buch eines amerikanischen Karmeliterpriesters (Peter-Thomas Rohrbach - 1952 zum Priester geweiht) über das geistige Gebet in die Hände gefallen, in dem er die Methode der hl. Theresia von Avila für jedermann zugänglich macht. Auf diesem Buch basieren die folgenden Gedanken.

Zunächst ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass das geistige Gebet ganz einfach eine Unterhaltung mit Jesus ist. Oft meinen wir, wir müssten irgendetwas Grosses unternehmen oder komplizierte theologische Gedankengänge verfolgen. Das ist in keinster Weise der Fall. Unsere Meditation - oder unser geistiges Gebet, wie die hl. Theresia es nennt - soll einfach ein Gespräch mit Jesus sein. Wie wenn wir uns mit einem Freund unterhielten. Dabei ist es aber gut, dem Ganzen einen gewissen Rahmen zu geben, da wir sonst - wie unsere gefallene Menschennatur eben ist - in Gedanken ziellos umherschweifen und alles andere als bei Jesus sind. Dazu soll der folgende Plan eine Hilfe sein.

A) Die Einleitung besteht darin, dass wir uns in die Gegenwart Jesu versetzen.
B) Der zweite Schritt ist die Wahl eines geeigneten Themas für unser heutiges Gespräch.
C) Der dritte Schritt untersucht das Thema genauer und versucht, ihn lebendiger zu machen und Details herauszuheben.
D) Dann folgt der Hauptteil, das Gespräch selber.
E) Abschließend "verabschieden" wir uns von Jesus.


A) Wenn wir uns mit Jesus unterhalten wollen, ist es offensichtlich unausweichlich, dass wir uns im Geiste - möglichst lebendig - bewusst machen, dass Er jetzt da ist. Das geht natürlich besonders gut, wenn wir uns in einer Kirche befinden. Wir wissen, Jesus ist jetzt leibhaftig dort vorne im Tabernakel. Oder noch besser direkt nach der hl. Kommunion. Aber wer hat heute schon die Möglichkeit, Jesus täglich im allerheiligsten Altarssakrament zu besuchen oder in der hl. Kommunion zu empfangen? Doch Jesus sieht uns überall, Er hört jedes Wort, kennt jeden Gedanken. "Der das Ohr geschaffen, der sollte nicht hören? Der das Auge gebildet, der sollte nicht sehn?" (Ps. 93). Wir können also auch daheim "im stillen Kämmerlein" mit Ihm reden. Wir stellen uns vor, wir sitzen zu Seinen Füßen, als Er Seine Jünger lehrt, wir knien vor Ihm auf Seinem himmlischen Thron oder sprechen zu Ihm, der in unserer Seele immer zugegen ist.

B) Um Stoff für unsere Unterhaltung zu finden, nehmen wir am besten einen Abschnitt aus dem Neuen Testament, ein geeignetes Buch (z.B. die Nachfolge Christi) oder auch ein Bild oder eine Statue Jesu.

C) Nachdem wir nun Stoff für unsere Meditation gefunden haben, versuchen wir, ihn uns näherzubringen und Details herauszuarbeiten, die uns möglicherweise beim ersten Lesen entgangen sind. Dafür schlägt die hl. Theresia vor, sich Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wer ist der, um den es hier geht? Was macht er? Warum macht er das? Was bedeutet das für mich?

D) Das bringt uns direkt zum Hauptteil unserer Meditation, dem eigentlichen Gespräch mit Jesus. Behalten wir aber immer im Auge, dass dies alles nur dafür da ist, der Unterhaltung mit Gott Rahmen und Stoff zu geben. Möglicherweise befinden wir uns in einer bestimmten Situation schon gewissermassen in der Gegenwart Gottes. Dann können wir natürlich den ersten Schritt überspringen und dergleichen. Das geistige Gebet ist also nichts anderes als vertraute Freundschaft mit Gott, ein Gespräch - von Herz zu Herz - mit dem, von dem wir uns geliebt wissen. Diese Konversation soll uns in liebenden Kontakt mit Jesus bringen. Dabei ist noch zu vermerken, dass wir unsere Affekte bei Zeiten durchaus ohne Worte ausdrücken können. Manchmal ist es auch angebracht, einfach vor Jesus zu sitzen und mit den Aposteln auf Berg Tabor zu sagen: "Herr, hier ist gut sein".

Wie jener Bauer, der auf die Frage des Priesters, was er denn die ganze Zeit dort in der Kirchenbank vor dem Allerheiligsten sitzend gemacht habe, antworten konnte: "Er hat mich angeschaut, ich habe Ihn angeschaut".

Wenn von Affekten die Rede war, dann darf man nicht der Meinung verfallen, man müsse auf Biegen und Brechen Gefühle hervorrufen. Das würde unser geistiges Gebet nur zu einer drückenden Pflicht machen, insbesondere in Zeiten, wo wir innerlich eher "trocken" sind. Liebe hat mit Gefühlsduselei nichts zu tun. In solchen Zeiten verlangt Gott nicht mehr von uns, als dass wir tun, was in unserer Kraft steht und Ihm unsere Schwäche und geistige Armut bekennen.

Das geistige Gebet ist für jedermann. Wenn wir zu einem Freund sprechen können, warum können wir es dann nicht zu Jesus. Genauso nämlich will Jesus, dass wir uns mit Ihm unterhalten. Würden wir es nicht als Beleidigung ansehen, wenn uns jemand vorschreiben zu müssen glaubte, wie und über was wir mit einem Freund sprechen sollen? Die Meditation bietet uns eine gute Gelegenheit, uns mit Jesus über die verschiedenen Geschäfte und Sorgen unseres Alltags zu unterhalten. Wenn wir alles offen vor Jesus hinbreiten, was soll dann noch schief gehen? Vergessen wir nur nicht, dass Jesus wirklich da ist, derselbe Jesus, der die Blinden sehen, die Lahmen gehen und die Aussätzigen rein gemacht hat, der aufgewühlte Wasser beruhigen, der mit fünf Broten fünftausend Mann sättigen kann, kurz, der "alles gut gemacht" hat. Warum sollte Er nicht auch unsere geistigen Krankheiten heilen, unsere aufgewühlte Seele beruhigen, unseren inneren Hunger stillen können?

Dazu fällt mir der Kommentar des hl. Papstes Gregor des Großen zum Evangelium des zwanzigsten Sonntags nach Pfingsten ein, in dem ein königlicher Beamter aus Kapharnaum Jesus bittet, zu ihm zu kommen und seinen kranken Sohn gesund zu machen. Jesus rügt ihn daraufhin und sagt: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht" (Jo 4,46). Der hl. Gregor fragt den Leser, womit der Beamte diesen Tadel verdient habe, da er doch gerade mit seiner Bitte an Jesus zeigt, dass er glaubt, dass Jesus helfen kann.

Was Jesus aber tadelt, ist die Bitte an Ihn, Er solle "herabkommen" und den Sohn heilen, Er, der doch geistigerweise nie abwesend war. Der Beamte glaubt also nicht, dass Jesus helfen kann, es sei denn, Er ist körperlich anwesend. Hätte er vollkommen geglaubt, so hätte er gewusst, dass es keinen Ort gibt, an dem Gott nicht ist. Durch die folgende Heilung will Jesus aber zeigen, dass Er durch einen Befehl allen Genesung schenken kann, da Er doch durch einen Willensakt alles geschaffen hat (aus der dritten Nocturn desselben Sonntags). Wollen wir also Jesus nicht in gleicher Weise enttäuschen!

Aber Bitte ist nicht der einzige Zweck des Gebetes. Das Hauptziel sollte eigentlich sein, ein persönliches Verhältnis mit Jesus aufzubauen, unsere Freundschaft mit Ihm zu stärken, Ihm den Lobpreis der ganzen Schöpfung entgegenzubringen! Dann erst kommt die Bitte. Nicht nur für uns, auch für andere. Oder nichts anderes erbitten als die Freude, Ihn kennen zu dürfen. Auch Dank kann und soll Inhalt des Gebetes sein. Versuchen wir also, uns selber aus dem Zentrum des Gebetes zu rücken, und nicht nur zu fragen: "Was kann Gott mir geben?", sondern: "Was kann ich Gott geben?"

Allzu leicht verfällt man auch der Meinung, das Gebet bestehe hauptsächlich aus einem Monolog. Wir reden und reden und Jesus hört zu. Nichts könnte falscher sein. Sollte der, der allmächtig ist, der uns erschaffen hat, nicht in der Lage sein, sich uns mitzuteilen? Und Er tut es wirklich. Natürlich können wir Ihn nicht hören, wie wir unseren Mitmenschen hören können. Aber geht es uns nicht oft so, dass wir plötzlich eine Idee haben, von der wir unmittelbar wissen, dass sie gut ist? Oder eine Antwort, die uns Ruhe schenkt? Ein inneres Licht, eine Klarheit, die unsere Zweifel, unser Schwanken verdrängt? Dass wir Friede, Freude, oder doch wenigstens Hoffnung verspüren? All das ist Jesus, der uns antwortet.

Unser Bischof hier sagte einmal, er habe für das und das Problem eine Lösung gefunden, oder eine Antwort auf eine Frage. Und er fügte hinzu: "Das kam mir gerade während der Messe". Und damit wollte er sagen: "Das kann doch nur eine Antwort Gottes gewesen sein". Es ist daher wichtig, wenn wir langsam und ernst, mit eigenen Worten, im Herzen mit Jesus sprechen, dass wir dann und wann auch eine Pause einlegen, und einfach nur lauschen, ob nicht Jesus etwas zu sagen hat.

E) Sind wir am Ende unseres Gespräches angelangt, dann wäre es unangebracht, einfach aufzustehen und fortzugehen. Wir sollten uns davor von Jesus gewissermaßen verabschieden. Wie wir das machen? Am besten bedanken wir uns bei Ihm, dass wir mit Ihm reden durften und auch für alle Gnaden, die Er uns während dieser Zeit geschenkt hat. Wir können auch kurz nachdenken, was wir nicht gut gemacht haben und was wir bei unserer nächsten Meditation besser machen wollen.

Am schönsten wäre es natürlich, wenn wir jeden Tag etwas Zeit für unser Gespräch mit Gott finden könnten (wie oben schon erwähnt, meditieren wir hier im Seminar zum Beispiel jeden Morgen noch vor der hl. Messe). Aber vergessen wir auch nicht, dass eigentlich jedes Gebet, auch das sogenannte Lippengebet, eine Unterhaltung mit Jesus ist. Die hl. Theresia geht soweit zu sagen, dass ein gesprochenes Gebet gar kein Gebet ist, solange es nicht mit innerem Kontakt zu Gott vorgenommen wird.
Sie weiß uns aber auch zu trösten: In ihrem Werk "Weg der Vollkommenheit" ermuntert sie uns, nicht aufzugeben, wenn wir immer wieder Opfer unserer Phantasie werden und Ablenkungen erliegen oder plötzlich "aufwachen" und feststellen, dass wir ja in der Kirche sitzen und eigentlich mit Jesus sprechen wollten. Oder wenn wir meinen, wir machten irgend etwas falsch, seien nicht zum Meditieren geschaffen. Erfolg beim Gebet ist garantiert, sagt sie, aber es braucht Zeit und Anstrengung.

Außerdem können wir uns ja auch an unsere himmlische Mutter wenden, wenn wir Hilfe brauchen. Dann werden wir im geistigen Gebet einen sicheren Weg zu enger, vertrauter Freundschaft mit Jesus finden und irgendwann die Freude im Gebet verspüren, von der die hl. Theresia spricht.

Anbei bedanke ich mich auch noch ganz herzlich bei Ihnen für Ihren Beistand im Gebet - um den ich Sie auch weiterhin bitte - und Ihre finanziellen Hilfen. Ein recht herzliches Vergelt's Gott! Ich schließe auch Sie in mein tägliches Gebet ein.


Johannes Heyne



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