Die zwei Welten oder tiefe Eindrücke einer Reise

Die Reise nach Spokane, bei welcher ich S. E. Bischof Yurij Yurchik begleiten sollte und durfte, hat in mir tiefe Eindrücke hinterlassen. Insbesondere möchte ich hier auf eine bestimmte dabei gemachte Erfahrung zu sprechen kommen, die gewissermaßen aus zwei unterschiedlichen Phasen besteht und mich noch immer stark beschäftigt.

Die erste Phase begann mit der Ankunft auf dem internationalen Flughafen Seattle-Tacoma. Wir, die beiden Besucher aus Europa, wurden dort von einem argentinischen Priester und einem amerikanischen Diakon abgeholt, die auf dem Mount St. Michael leben und wirken. Kurz getroffen haben wir nach der Landung auch zwei Schwestern, die derselben Kongregation angehören wie die Nonnen in Spokane und in einer eigenen Privatschule in Tacoma (südlich von Seattle) als Lehrerinnen tätig sind. Eine davon gehört übrigens zu jenen drei Schwestern, die uns im letzten Sommer auf ihrer Pilgerreise durch Europa in Ulm besucht haben.

Dann ging es mit dem Auto fünf Stunden lang nach Spokane, wo wir am späten Abend Ortszeit ziemlich müde (neun Stunden Zeitunterschied zu Deutschland und zehn Stunden zur Ukraine!) eintrafen. In den nächsten Tagen folgten dann ein intensiver Gedankenaustausch mit dem (aus Omaha, Nebraska) angereisten Bischof Pivarunas und den anwesenden Priestern, gastfreundliche Empfänge im Konvent der Schwestern, interessante Begegnungen mit Gläubigen und ebenfalls angereisten Seminaristen.
Einquartiert waren wir im sogenannten Priesterhaus (Rectory), in welchem neben dem dortigen Klerus auch noch einige auswärtige männliche Schüler wohnen, und welches etwas abgelegen vom Hauptgebäude steht (ca. 8-10 Minuten zu Fuß). Im mehrstöckigen Hauptgebäude, welches früher den Jesuiten gehörte, und die es in den 70-ern mangels Nachwuchses aufgeben mussten, befinden sich neben der geräumigen Pfarrkirche noch die Schule und (in einem Flügel) der Konvent der Schwestern, das Frauenkloster.

Was mir während unseres Aufenthaltes dort bei allen unseren Aktivitäten auffiel, ist, welch eine schöne und freundschaftliche Atmosphäre zwischen uns allen herrschte. Und um dies verstehen und umschreiben zu können, kam mir der Begriff „Respekt“ bzw. „gegenseitige Achtung“ in den Sinn. Wie selbstverständlich wurde jeder, wer auch immer er gewesen sein mochte, ernst genommen. Man hatte eben nicht den Eindruck, als würden die, welche auf der hierarchischen Leiter höher stehen, sich für etwas besseres halten oder auf die anderen von oben herab schauen. Die beiden Bischöfe haben ohne irgendwelche Allüren bereitwillig auf die Meinung der Priester gehört, um nur ein konkretes Beispiel aufzuzeigen. Und die Priester (und Bischöfe) haben nicht die geringsten Probleme gehabt, sich ganz normal mit den Seminaristen, freundlichen und humorvollen Schwestern und zahlreichen Gläubigen auszutauschen.

Auf der anderen Seite schien auch niemand vergessen zu haben, wer er sei und wem er (wegen dessen höherer Weihewürde oder auch schlicht und ergreifend wegen dessen persönlichen Anstands) mit entsprechendem Respekt zu begegnen hat. Es hatte nicht den Anschein, als wollte sich jemand von den weiter unten Stehenden ungebührlich aufspielen, den höher Stehenden imponieren oder sich unzulässig als Alles-Besser-Wisser in den Mittelpunkt drängen. Mit welchem Respekt, der offenkundig von Herzen kam, sind sich die Bischöfe und Priester jeweils untereinander begegnet, welches vernünftige Maß an menschlicher Achtung wurde ihnen seitens der Nonnen und Gläubigen entgegengebracht. (Dies hat nichts mit übertriebenem Klerikalismus zu tun, sondern mit gesundem kirchlichem Denken und angebrachtem Respekt.)

Und dieser wunderbare brüderliche Geist konnte eigentlich nur deshalb zustande kommen, weil jeder einzelne seinen eigenen Platz im ganzen großen Gefüge kannte und konsequent einhielt! Jeder schien zu wissen, welche Rolle er zu spielen hat, welche Aufgabe ihm von oben zufiel, und war damit zufrieden.
Mit anderen Worten: diese Einstellung ist nichts anderes als eine Auswirkung lebendigen Christentums und glühender Marienverehrung! Es war ergreifend, wie der auf dem Mount St. Michael verantwortliche Seelsorger Fr. Casimir Puskorius („Fr.“ = „Father“ = „Pater“) am Sonntag Christkönig vor der ganzen Gemeinde das Versprechen ablegte, den Rosenkranz, der im Monat Oktober jeden Tag gemeinsam gebetet wird, auf dieselbe Weise bis Ende des Jahres in den Anliegen der ukrainischen Kirche fortzusetzen. Und auch sonst bemüht man sich in dieser Gemeinschaft, im Sinne der Botschaft der Muttergottes von Fatima zu wirken, dies war nicht zu übersehen. Man konnte deutlich merken, dass es da wirklich um den Herrgott und den katholischen Glauben, um das Gebet und das Heil der Seelen ging.

2) ...Und dann kamen wir vor dem Abflug am Flughafen an. Was stach uns da in die Augen? Werbeflächen, auf welchen Schmuck und Kosmetika angepriesen wurden. Bereits am Eingang in den Souvenir- und Zeitungsladen war in großer Aufmachung die Titelseite einer Illustrierten angebracht, auf welcher eine bekannte amerikanische Schauspielerin abgebildet wurde, und die Schlagzeile angebracht war, wie jung und hübsch sie mit 40 noch immer aussehe. Schon da merkten wir, dass wir uns bereits in einer anderen Welt befanden.

Dann stiegen wir in das Flugzeug ein. Das Bordprogramm der Northwest Airlines (nach dem Start) auf dem großen Bildschirm in der Mitte vorne bestand aus irgendwelchen völlig oberflächlichen und sogar wirklich unsinnigen Komödien, die nichts mit einem halbwegs gesunden Humor zu tun hatten. Dazu noch hüpften halbnackte Frauen hin und her und versuchten in ihren Rollen zu imponieren. Ganz zu schweigen von gezeigten Ausschnitten aus einem Rockkonzert irgendeines der modernen „Künstler“...
Und wenn man auf dem Hintergrund des auf dem Mount St. Michael gerade Erlebten auf diese Weise sozusagen hautnah mitbekommt, was zu den Idealen der modernen Welt gehört, was sie bewegt, wenn man den Kontrast beider Welten so deutlich erlebt, wie wir es konnten, durften oder mussten (je nachdem halt), dann bleibt einem nichts anderes übrig, als die abgrundtiefe geistige Armut der sogenannten freien und „aufgeklärten“ westlichen Welt festzustellen und ihr darob auch sein Beileid auszusprechen! Wie bedauernswert müssen denn jene Menschen sein, die sich von solchen hohlen „Idealen“ leiten lassen und vielleicht nicht einmal merken, wie arm und bemitleidenswert sie und ihre „Stars“ sind, welche ihnen offensichtlich nur etwas vorgaukeln.

3) Lernen wir also - auch und gerade aufgrund oder wegen solcher einschneidenden Erfahrungen - unseren katholischen Glauben und seine Wahrheiten zu schätzen und zu lieben! Das wird uns - auch und gerade in den geistigen Wirren der Gegenwart - inneren Halt und Orientierung geben. Denn wo würden wir ohne Gott und außerhalb Seiner landen! Dann wird uns auf diesem Hintergrund des lebendigen Glaubens umso mehr die Nichtigkeit und geistige Leere unserer heutigen, offensichtlich einzig und allein auf Konsum und Spaß ausgerichteten Gesellschaft nicht entgehen. Diese Welt kann uns, den Menschen, keine richtige Erfüllung geben, kann niemand Sinn vermitteln.

Lernen wir, aus diesem gesunden katholischen Geist heraus auch unseren Mitmenschen mit wirklich aufrichtigem Respekt und Achtung zu begegnen. Dadurch werden wir viele zwischenmenschliche Dissonanzen und Streitereien vermeiden und ihnen klugerweise aus dem Weg gehen können, die ja unser Leben nur weiter erschweren und unnötig belasten. Wer den anderen respektiert, dem wird auch eher von diesem anderen geholfen, den eigenen Weg zu gehen, was ja unter anderem auch den von Gott beabsichtigten Zweck einer menschlichen Gemeinschaft ausmacht.

Vergessen wir dabei auch nie, dass der christliche Glaube nicht darin besteht, etwa mit theologischem Wissen zu strotzen, alle kirchliche Dogmen und kanonische Gesetze bis ins letzte Detail aufsagen oder prächtig mit biblischen Zitaten herumwerfen zu können. Dies wäre zu einseitig. Nein, der menschliche Anstand, die gegenseitige Rücksichtnahme, die Ausfluss der Liebe Christi sind, haben ebenfalls dazu zu gehören. Denn wer vor seinem Mitmenschen (auch trotz bisweilen notwendiger Kritik an dessen Verhalten) keinen Respekt hat und für ihn oft mehr Verachtung als Achtung übrig hat, dessen Glaubenseinstellung ist offensichtlich auch nicht in Ordnung.

Lernen wir aber auch, zu erkennen, wo unser jeweils eigener gottgewollter Platz im Leben (in Familie, Kirche und Gesellschaft) ist, und damit auch zufrieden zu sein! Wer ständig nur nach Mehr Ausschau hält, wer ungeordnet nach Höherem trachtet, wer zu viel imponieren und sich ungebührlich in den Mittelpunkt drängen will, wer sogar öffentlich-publizistisch seine „Leistungen“ anpreist und dabei den anderen nicht selten einseitig ins falsche Licht setzt, dessen „Frömmigkeit ist wertlos“ (Jak 1,26): der übersieht auf der einen Seite das momentan Erforderliche, d.h. das, was von ihm nach Gottes Willen in der konkreten Gegenwart verrichtet werden sollte, und wird auf der anderen Seite nur von Missgunst, Neid, Gehässigkeit und Konkurrenzdenken innerlich zerfressen. Somit bleibt ihm auch Gott verborgen.
Eignen wir uns also immer weiter den christlichen Geist des felsenfesten Glaubens, des vertrauensvollen Gebetes und des gegenseitigen Respektes an, damit auch durch uns das Licht Gottes für unsere Mitmenschen scheinen kann!


P. Eugen Rissling


 

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