„...so sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln.“

Wer die Episteln des sechsten, siebten und achten Sonntags nach Pfingsten genauer verfolgt hat, wird festgestellt haben, dass sie alle aus dem Römerbrief genommen sind und sich im Inhalt ähnlich sind.
Paulus führt den Gläubigen in Rom immer wieder vor Augen, dass sie seit ihrer Taufe an einem neuen Leben Anteil haben, das sich von ihrem alten wesentlich unterscheidet.
„Wie aber Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferstanden ist, so sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln.“
Damit fasst Paulus den Inhalt unseres Glaubens praktisch in einem Satz zusammen. Unser Glaube öffnet uns die Tore zu einem neuen Leben. Unser Glaube ist also nicht in erster Linie eine Verneinung von Dingen, die Freude bereiten, oder ein Sich-Abwenden von den schönen Dingen der Welt. Unser Glaube ist in erster Linie ein Ja-Sagen zu einem Leben mit Gott, für das uns Gott eigentlich geschaffen hat und in dem allein wir daher unsere Erfüllung finden können.
Um aber dieses Leben wieder führen zu können, mussten wir zuerst freigekauft werden aus der Knechtschaft der Sünde. Uns, die wir so daran gewöhnt sind, dass in der hl. Beichte unsere Sünden wieder von uns genommen werden und wir neu beginnen können, fällt es möglicherweise schwer, uns diese Knechtschaft der Sünde lebhaft vorzustellen. Aber stellen wir uns doch einmal vor, der Ballast, den wir jedes Mal im Beichtstuhl lassen, würde sich immer mehr anhäufen und wir müssten ihn unser Leben lang herumtragen. Schuld wird ja nicht dadurch allein getilgt, dass Zeit vergeht. Daher haben Menschen, die keinen Glauben haben, so oft ein Problem, mit ihrer Schuld fertig zu werden (wenn sie es auch vielleicht verdrängen und es ihnen gelingt, auf ihre Mitmenschen einen gelösten und unbeschwerten Eindruck zu machen).
Nun, dies war das Problem des Menschen schon vom ersten Augenblick der ersten Sünde an. Er hatte Schuld auf sich geladen und hatte nichts, diese Schuld zu begleichen. Das ist die Knechtschaft der Sünde. Gott sah, wie sehr der Mensch darunter litt. Deshalb hat Er den Menschen auch gleich nach ihrem Vergehen versprochen, dass diese Situation nicht ewig andauern werde, sondern dass Er ihnen den senden wird, der sie von Verbündeten der Schlange zu deren Feinden machen würde.
„Feindschaft will ich setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Spross und ihrem Spross. Der wird dir den Kopf zertreten“ (Gen. 3,15).
Jesus hat uns also befreit. Er hat die Schuld bezahlt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir nicht vergessen, dass Jesus die ganze Schuld bezahlt hat. Er hat das ganze Böse, das geschehen ist, geschieht und geschehen wird, grundsätzlich gesühnt. Das bedeutet nicht, dass dadurch allen Menschen die Schuld bereits wirksam vergeben ist und dass daher alle Menschen schon effektiv erlöst sind. Denn Christus tritt zwar vor Gott hin mit seinem Blut, dem Preis, der ausreicht, alle Schuld zu begleichen, aber den wirksamen Anteil an der Erlösung haben nur die, die sich – um bei diesem Bild zu bleiben – hinter Christus stellen und in seiner Gefolgschaft vor Gott treten. Wenn wir nicht an Christus glauben, sein Blut nicht „nutzen“ und alleine vor Gott hintreten wollten, könnten wir nicht bestehen.
Die Schuld ist also beglichen. Das bedeutet aber auch, dass wir wieder wahrhaft gerecht sein können vor Gott – gerecht im Vollsinn des Wortes. Luthers Vorstellung war, dass wir durch die Sühne Christi sozusagen einen Mantel umgehängt bekommen, der unsere Sünden verdeckt, die Gott uns dann folglich auch nicht mehr anrechnet. Trotzdem bleiben wir aber, nach seiner Auffassung, von der Sünde voll und ganz beherrscht. Die katholische Kirche dagegen lehrt, wie gesagt, dass wir gerecht-fertigt sind. Gerechtfertigt heißt wieder gerecht gemacht. Das heißt, wir können selbst vor Gott wieder ganz rein dastehen! Natürlich bleibt es ein Verdienst der Gnade Christi, die uns das ermöglicht hat und mit der wir mitwirken sollen.
Wenn wir nun gerechtfertigt sind, so müssen wir trotzdem noch die Folgen unserer Sünde tragen, die da sind: Krankheit, Versuchbarkeit, Sterblichkeit. Daraus macht auch Paulus keinen Hehl: „Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben: Erben Gottes und Miterben Christi. Nur müssen wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“ Wenn wir diese Folgen aber auch tragen müssen und wenn wir auch weiterhin in unserem Leben Mühsal erleiden müssen, so dürfen wir trotzdem, wie Paulus sagt, in einem neuen Leben wandeln.
Warum aber hören wir immer wieder, dass wir uns selber verleugnen müssen, dass wir mit Christus sterben müssen, dass wir durch die Taufe mit Ihm im Tode begraben sind, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt werden muss mit Christus? Zeigt das nicht doch, dass das Christentum das Leben verneint, den Menschen die Freude nehmen will, sie traurig stimmt?
Nein, der Heilige, der ja ein Vorbild für den Christen sein soll, vergisst sich selber, weil er gesehen hat, dass Gott viel schöner ist, viel größer ist, viel mehr wert, mit ganzer Kraft geliebt zu werden. Er tötet seinen Leib und seinen Eigenwillen ab (vgl. Röm 6,6), nicht weil er in ihnen etwas an sich schlechtes sieht, sondern weil sie durch den Sündenfall angeschlagen sind und zum Schlechten neigen. Die innere Haltung des Heiligen ist also nicht in erster Linie eine negative, sondern eine positive. Er wendet sich nicht von etwas ab.
Der Heilige wendet sich also nicht zuerst von etwas ab, er wendet sich in erster Linie etwas zu!
Diese Hinwendung zu Gott bewahrt der Heilige sein Leben lang bei. Sein Blick ist in jeder Situation auf Gott gerichtet. Daher spürt er zwar den durch die menschliche Sünde verursachten Schmerz noch, aber er wird von ihm nicht zerbrochen, weil er auf Gott schaut. Auch er muss zwar sterben, aber der Tod hat keine Macht über ihn, weil er für ihn nur ein Hinübergehen zu dem darstellt, den er sein Leben lang geliebt und ersehnt hat. Auch er kennt Sorgen, aber sie erdrücken ihn nicht, weil er sich in Gottes Gegenwart und daher geborgen weiß. Auch er erfährt noch Leid, aber im Gefolge des für uns stellvertretend leidenden Heilandes weiß er um dessen Sinn und auch um die sühnende Wirkung des mit Christus mitgetragenen Kreuzes.
Wieder wird jetzt deutlich, warum die Hl. Schrift von der Sünde immer als Knechtschaft spricht. Denn sie versperrt dem Menschen den Weg zu diesem Leben, das doch die wahre Freiheit darstellt.
Die Worte des hl. Paulus können wir uns auch immer wieder vor Augen führen, wenn unser Glaube von uns Opfer fordert. Wenn wir – um nur ein Beispiel anzuführen - am Sonntag früh aufstehen müssen oder wenn wir eine lange Fahrt auf uns nehmen müssen, um zur hl. Messe zu gehen, dann ist das sicher anstrengend. Aber was für ein kleiner Preis, wenn wir bedenken, dass unser Lohn darin besteht, dass wir an diesem neuen Leben Anteil haben dürfen!
Jetzt wird uns auch wieder bewusst, warum wir sonntags zur hl. Messe gehen. Hier geschieht das Werk unserer Erlösung, das uns den Weg zu dem neuen Leben eröffnet – die Hingabe des Sohnes an den Vater für uns wird hier Gegenwart in der Zeit. Wir treten wahrhaft mit einer reinen Opfergabe vor Gott. Wir dürfen Gott seinen Sohn als reine, wohlgefällige Opfergabe aufopfern. Und jedes Mal, wenn wir an diesem Opfer teilnehmen, verstärkt und intensiviert sich das neue Leben in uns, denn wir werden ja auch der Frucht jenes Opfers teilhaftig!
Bleiben wir uns immer bewusst, welches Geschenk unser Glaube eigentlich bedeutet. Gott hat uns erschaffen, um uns an Seinem göttlichen Leben Anteil haben zu lassen. Daher ist das Leben ohne Gott für den Menschen auch kein Leben im vollen Sinne. So wollen wir also keine Mühe scheuen, dieses Leben zu erlangen. Und wenn wir nicht nachlassen, Gott zu suchen, wenn wir die Sakramente, die Gott uns als übernatürliche Hilfsmittel und Kraftquellen geschenkt hat, benutzten, dann werden wir auch immer mehr erfahren, dass wir als Christen “in einem neuen Leben wandeln” dürfen.

P. Johannes Heyne


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