"Selig, die reinen Herzens sind"


Eines der Merkmale unserer heutigen modernen Welt ist der Umstand, dass sie sich sehr schnell verändert, und zwar je weiter, umso schneller. Noch vor fünfzig geschweige denn vor hundert Jahren hat sie in vielen Bereichen ganz anders ausgesehen als in der Gegenwart des begonnenen dritten christlichen Jahrtausends. Und dabei gilt dies nicht nur im Hinblick auf den technologischen Fortschritt - Computer und die Elektronik beherrschen inzwischen den Alltag der Menschen -, sondern vor allem auf die Mentalität und die geistig-sittliche Verfassung vieler unserer Zeitgenossen. Es besteht ja kein Zweifel, dass die geistigen und moralischen Grundlagen der Gesellschaft früherer Zeiten in einer ganzen Reihe von Punkten nicht von der gegenwärtigen Welt, von der sogenannten modernen öffentlichen Meinung übernommen werden. Heute füllen oft ganz andere Inhalte die Denkweise breiter Volksschichten aus, wobei zwischen beiden Welten nicht selten radikale und an sich unüberbrückbare Unterschiede bestehen. 

Als katholischer Christ sollte man zwar nicht von dieser Welt sein (gemeint ist die gottferne, sich von Gott entfernende und entfernte Welt), aber trotzdem leben wir in dieser Welt. So ist es - ob man selbst es nun will oder nicht - nicht zu vermeiden, dass man in Berührung kommt mit den Veränderungen in unserer Umgebung, dass man sich auch mit den verschiedensten Neuerungen der Moderne, welcher Art auch immer sie sein mögen, auseinander setzen muss. Denn es ist ja praktisch unmöglich, dass sich jemand gänzlich abkapselt und sich in ein von der Außenwelt völlig isoliertes Ghetto begibt. (Und vielleicht ist es teilweise auch gut so, dass man nicht allem gänzlich aus dem Weg gehen kann, um geprüft werden zu können, um die Spreu vom Weizen zu trennen.) 

Dabei ist zu beachten, dass nicht jede Neuerung oder Veränderung unbedingt schlecht, falsch oder sündhaft sein muss. Als Katholik ist man grundsätzlich nicht fortschrittsfeindlich - ein positiver, gesunder Fortschritt ist zu begrüßen. Wurde ja auch den Menschen der Verstand gegeben, damit sie ihn einsetzen, um Verbesserungen zu erzielen, die zum eigenen geistigen und leiblichen Wohl dienen (vgl. Gen 1,28: „macht euch die Erde untertan“). Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch gesagt werden - und darauf kommt es an -, dass nicht wenige der Neuerungen, die, nebenbei gesagt, oft genug publikumswirksam als eine große „Errungenschaft“ der modernen Welt verkauft werden, nun tatsächlich sittlich äußerst bedenklich wenn nicht sogar eindeutig unmoralisch sind und somit im krassen Widerspruch zum göttlichen Gebot stehen! Die Annahme, jede Veränderung, die heute als „Fortschritt“ deklariert werde, sei in jedem Fall nützlich und förderlich, ist ebenfalls unhaltbar und vor allem auch wegen ihrer gewaltigen Konsequenzen äußerst bedenklich! 

Und angesichts dieser Sachlage muss sich nun ein Christ die Frage stellen, was für ihn nun wichtiger und von ausschlaggebenderer Bedeutung ist für sein Leben und seine Entscheidungen: der letzte Schrei dessen, was als Mode (deren Halbwertzeit übrigens immer kürzer wird), was als populär und als „in“ ausgegeben wird, oder das an sich unveränderliche sittliche Gebot des christlichen Glaubens, der christlichen Offenbarung - der Wille Gottes! 

Natürlich, geht eine Entwicklung bis zu einem bestimmten Grad, der moralisch unbedenklich bleibt, so dass keine der christlichen Prinzipien und ethischen Grundsätze berührt bzw. missachtet werden, ist man berechtigt und unter Umständen sogar verpflichtet, sich dieser neuen wie auch immer gearteten Entwicklung nicht nur nicht zu verschließen, sondern sie zum Wohl der Gesamtheit auch zu adaptieren. Denn schon der hl. Paulus schrieb: „Prüft alles; was gut ist, behaltet“ (1 Thess 5,21). Und vor dem Vatikanum II. hat sich die katholische Kirche ja ebenfalls z.B. der damals relativ neuen Medien von Funk und Fernsehen bedient, um eben das Evangelium zu verkünden. 

Wird aber die gesunde Grenze eindeutig überschritten, gerät die Neuerung in einen Konflikt mit der göttlich geoffenbarten Wahrheit, dann muss ein Katholik - um Gottes und seines eigenen Heiles willen (!) - entsprechend handeln, dann muss er auch willens und bereit sein, ein klares und entschiedenes Nein zu dieser sich sittlich negativ auswirkenden Entwicklung zu sagen. Denn nichts auf der Welt darf höher gestellt werden als der Herrgott, der als einziger vollkommen zu Recht den Anspruch erhebt, unser höchstes Gut im Leben zu sein! Besonders deutlich wird die Notwendigkeit einer solchen eindeutigen Stellungnahme zugunsten des göttlichen Gebotes auf dem Gebiet des 6. Gebotes Gottes, auf dem Gebiet des geschlechtlichen Lebens. 

Wir wissen ja, welche zum Teil sogar verheerenden Veränderungen in der Mentalität unserer Zeitgenossen seit der 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts auf diesem Gebiet stattgefunden haben. Wurden früher z.B. Ehebruch, Homosexualität, vor- und außereheliche geschlechtliche Beziehungen von einer doch noch etwas breiteren Volksschicht für unsittlich gehalten, sind diese Praktiken heute nicht nur gesellschaftsfähig geworden, sondern sie gehören inzwischen auch noch zum guten Ton der Mehrheit! 

Man denke daran, welchen moralischen Schund die vielfältigen Druck- und Filmerzeugnisse der Gegenwart propagieren, welche „Ideale“ der modernen Porno- und Erotikkultur, die jedes gesunde Schamgefühl negieren und die letzten eventuell noch vorhandenen Reste des Anstandes beseitigen, dadurch gerade der jungen Generation vermittelt werden. Bezeichnenderweise hat der Beate Uhse Konzern letztes Jahr erneut einen Umsatzzuwachsrekord (41%) erzielt. 

Und das Resultat dieser Entwicklung ist: die christlichen Werte der ehelichen Treue und der sexuellen Selbstbeherrschung stehen heute, gelinde gesagt, alles andere als hoch im Kurs. Man hält sich für besonders klug und „aufgeklärt“ und hat in moralischer Hinsicht überhaupt nichts an Ehescheidungen als solchen, am häufigen und zahlreichen Partnerwechsel, an „Liebe“ mit wem, wann, wo und wie auch immer usw. auszusetzen. Sogar den ekelhaftesten Entgleisungen und wildesten Perversitäten begegnet man nicht selten mit „Verständnis“ und „Respekt“, als ob die Narrenfreiheit das oberste Gebot wäre. Alles sei halt menschlich und normal, Hauptsache, man berufe sich auf den Pluralismus der Gesellschaft und auf die eigene Gewissensfreiheit. 

Nur die überlieferten christlich-katholischen Werte werden alles andere als mit Respekt und Toleranz behandelt. Bezeichnenderweise verhelfen ihnen die einflussreichen Medienkonzernen, die als die eigentlichen Meinungsmacher der Moderne anzusehen sind, nicht zu ihrem verbrieften Recht. Diese seien ja „unzeitgemäß“ und ziemlich „veraltet“ (oder schlicht und einfach unbequem), daher auch zum Abschuss freigegeben! Aber ein katholischer Christ kann und darf sich mit diesem sogenannten neuen Lebensstil nicht anfreunden, auch heute nicht! Auch wenn der Druck zur Anpassung an die gängigen Lebensgewohnheiten vieler unserer Zeitgenossen und zur Übernahme der modernen, angeblich „aufgeklärten“ Prinzipien noch so gewaltig ist, den naturgemäß besonders die Jugend stark zu spüren bekommt, müssen wir ihm trotzdem standhalten und dürfen hier keine faulen Kompromisse schließen. 

Denn es hat sich trotz vieler salbungsvoller Worte, mit denen kaum etwas anderes als der Versuch unternommen wird, die an sich unveränderlichen christlichen Werte zu relativieren, nichts geändert: Ehebruch, Sex vor und außerhalb der Ehe, Homosexualität oder auch andere heute populäre Praktiken auf dem Gebiet des 6. Gebotes sind dasselbe geblieben, was sie schon immer waren: unsittlich, unmoralisch, Sünde! Kein Partei- oder Gerichtsbeschluss, keine parlamentarische Mehrheit, kein Gesellschaftskonsens, kein Führer und kein Staatsoberhaupt, keine UNO und keine EU können daran etwas ändern! Denn Gott entzieht sich dem menschlichen Einfluss, Er ist absolut, Er ist unmanipulierbar. Und sollte jemand meinen, wer auch immer er sei, auf ihn träfen die diesbezüglichen sittlichen Anforderungen des Evangeliums nicht zu, er könne diese für sich außer Kraft setzen, er dürfe tun, was er für richtig hält, dann würde er sich gewaltig täuschen. Denn diese sind kein Menschenwerk, etwa bloß von Menschen erfunden, sondern gründen auf den eindeutigen Lehren Jesu Christi, des göttlichen Erlösers - also göttlichen Ursprungs! 

Aber warum gestattet die christliche Moral keine Ausübung der Sexualität außerhalb einer ehelichen Verbindung? Zwar ist es richtig, dass Jesus Christus die Ehe zur Würde eines Sakramentes erhoben hat und den Ehebruch eindeutig als eine Sünde bezeichnet hat (vgl. Mt 19,3-9; Joh 8,11; auch Eph 5,21-33). Aber warum tat Er dies? Was ist der innere Grund hierfür? 

Nun, der eheliche Akt als solcher ist ein Sich-Völlig-Hingeben an den anderen Menschen, eine Öffnung seiner eigenen intimsten Sphäre, eine ganzheitliche Hingabe der eigenen Person. Um diese Vereinigung zu vollziehen, muss ja der Mensch (wenigstens ursprünglich) eine nicht geringe natürliche Schamgrenze überwinden und dem anderen einen beachtlichen Vorschuss an tiefstem Vertrauen entgegenbringen. Und da der Mensch als ein vernunft- und willenbegabtes Wesen dies niemals ohne die Beteiligung seiner geistigen Kräfte, seiner Seele, tun kann, setzt der eheliche Akt gewissermaßen die Bereitschaft zur seelisch-geistigen Einswerdung voraus! 

Daher ist die intime leibliche Gemeinschaft nur gestattet, wenn zwei Menschen auch die ganzheitliche Lebensgemeinschaft wollen und konkret bejahen. Denn wenn zwei Menschen voneinander die volle Hingabe erwarten, ist es nur gerecht, dass sie sich gegenseitig auch die volle und somit auch zeitlich unbegrenzte Hingabe zusichern. 

Wer noch nicht ein ganzheitliches „Ja“ zu dem anderen Menschen gesprochen hat, ist somit auch noch nicht fähig, diese vorbehaltlose Hingabe zu praktizieren. Und nur der, welcher eindeutig seine ernste Absicht bekundet hat, mit einer bestimmten Person sein Leben ganzheitlich zu teilen (d.h. ohne Wenn und Aber, ohne eine zeitliche Grenze zu setzen, unter Ausschluss einer dritten Person), ist erst in die Lage versetzt, jene volle seelisch-leibliche Einswerdung zu vollziehen, von welcher die hl. Schrift ehrfurchtvoll spricht: „Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Leib“ (Mt 19,5f. bzw. Gen 2,24). 

Von einem katholischen Christen wird einsichtigerweise verlangt, dass er seinen ehelichen Treueschwur vor dem Angesichte Gottes und der Kirche ablegt. Denn hier kommt über die allgemeine Ehebindung hinaus noch hinzu, dass die Ehe zweier Christen von Gott und der katholischen Kirche eingesegnet wird, dass sie daher einen geheimnisvollen Nachvollzug der Beziehung Christus-Kirche bildet (vgl. Eph 5,21-33), dass sie das Abbild dieses Urbildes darstellt - eben ein heiliges Sakrament ist! Angesichts dieser Erkenntnisse wird auch einsichtig, dass die Ehe an sich nicht anders als unauflöslich sein kann: „Was nun Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,6)! Denn die Liebe im eigentlichen Sinnes des Wortes kann nur da vorliegen, wo die gegenseitige Beziehung jegliche auch zeitliche Limitation, Begrenzung dieser Beziehung ausschließt - sie ist eben eine Ganzhingabe! Wenn also die katholische Kirche die Ehe als solche schon immer für nicht anders als für unauflöslich erklärt hat, dann tat und tut sie das nicht, um etwa als altmodisch zu erscheinen, sondern nur, um die wahre und eigentliche (eheliche) Liebe unter den Menschen erst zu ermöglichen! Und wer die Ehescheidung als sittlich neutral bzw. irrelevant hinstellt, der verneint letztendlich das Prinzip der Liebe. 

Beten wir also für unsere Jugend, sie möge stark sein im Kampf gegen die Anfechtungen des Widersachers Gottes, sie möge die christlichen Prinzipien und Lehren klar erkennen und lebensmäßig im vollen Umfang bejahen, sie möge ihre Reinheit für ein Geschenk und für wertvoll erachten, um wenn, dann nur unbefleckt in den heiligen Stand der Ehe zu treten! Wer sich aber trotz aller Widrigkeiten unbeirrt zu Gottes Gebot und Wille bekennt, für den wird sich dies sicherlich auch im Hinblick auf eine eventuelle künftige Ehe positiv auswirken. Denn es geht hier auch um den Segen Gottes, der keinesfalls gering zu schätzen ist! 

Beten wir aber auch für unsere Ehen und Familien, dort möge der Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe wohnen, die gegenseitige Treue der Ehegatten immer fester werden, das tiefe Vertrauen wachsen! Denn das Wohl der Familie ist sowohl für die Kirche als auch für die Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. 

P. Eugen Rissling

 

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