Von der Liebe Jesu über alles


Selig der, welcher weiß, was es sei, Jesum zu lieben und sich selbst verachten um Jesu willen. Um des Geliebten willen muss man von dem, was man liebt, ablassen, weil Jesus allein über alles geliebt sein will.

Die Liebe zur Kreatur ist trüglich und unbeständig; die Liebe zu Jesus ist treu und beharrlich. Wer einem Geschöpfe anhängt, fällt mit dem Einfältigen; wer Jesum umfasst, der wird in Ewigkeit feststehen.

Den liebe und behalte dir zum Freunde, der dich nicht verlässt, wenn alle von dir scheiden, und dich am Ende nicht zugrunde gehen lässt. Du musst dich einst von allen trennen, du magst wollen oder nicht. Halte dich lebend und sterbend zu Jesus und vertraue dich Seiner Treue an, da Er allein dir helfen kann, wenn alle dir abgehen.

Dein Geliebter ist solcher Natur, dass Er keinen Fremden zulassen will; Er will vielmehr dein Herz haben und wie ein König auf Seinen eigenen Thron sitzen. Wüsstest du dich von jedem Geschöpfe wohl loszumachen, so würde Jesus gern bei dir wohnen.

Du wirst fast alles verloren finden, was du ohne Jesum auf Menschen bauest. Vertraue und verlass dich nicht auf ein luftiges Rohr. Denn „alles Fleisch ist wie Heu und all seine Herrlichkeit wird wie die Feldblume“ dahinsinken (Ps. 40,6).

Du wirst bald betrogen sein, wenn du nur auf den äußeren Schein der Menschen siehst. Denn wenn du bei anderen deinen Trost und Gewinn suchst, so wirst du gar oft Schaden leiden.

Wenn du in allem Jesum suchst, so wirst du sicherlich Jesum finden. Wenn du aber dich selbst suchst, so wirst du auch dich selbst finden, aber zu deinem Verderben. Denn wenn jemand Jesum nicht sucht, so schadet er sich selber mehr, als die ganze Welt und alle seine Feinde ihm schaden können.

Die Liebe zu Christus und die Liebe zur Welt sind sich entgegengesetzt und haben nichts miteinander gemein; sie können nicht zusammen in einem Herzen wohnen. Willst du vollkommen geläutert und im Geiste verklärt werden, so verachte dich selbst und alles um Jesu willen. Alles Große der Welt sei dir nichts, all ihre Lust dir bitter, damit allein Gott und der süße Jesus dir über alles süß werde. Was ist denn in Wahrheit die Liebe zu Jesus anders als Verachtung deiner selbst und aller Dinge um Seiner Liebe willen? Je reiner und glühender du Ihn liebst, um so geringer wirst du alles Irdische achten.

Jesum also sollst du immer anrufen, immer suchen, nach Ihm immer verlangen, Seiner immer gedenken, Ihn immer loben, immer verehren, immer lieben, in nichts beleidigen, sondern Ihm in aller Heiligkeit und Reinheit dienen und Ihn anbeten, der da ist über alles erhaben, Gott gepriesen in Ewigkeit. Suche Ihn und du wirst Ihn finden; rufe zu Ihm und lass nicht ab; „wenn Er zögert zu kommen, so harre Seiner und Er wird nicht ausbleiben“ (Habak. 2,3). Sprich zu Ihm: Komme, Herr, und säume nicht. Herr, eile, mir beizustehen. Wer Jesum innigst liebt, der wird am Ende sich freuen und eine besondere Gnade von Ihm erlangen, weil er Seiner gedachte.

Die Hoffnung auf Menschen ist eitel; Er aber ist die Grundfeste des Friedens. Magst du traurig oder froh sein, nimm allezeit deine Zuflucht zu ihm. Er ist der Spiegel des Lebens, Er die Norm der Gerechtigkeit. Er ist das unauslöschliche Licht für die Seele, die Liebe der Reinheit und die Freude des Gewissens. Seinetwegen wirst du leicht alles Ergötzliche verachten; Seinetwegen wird dir alles Bittere und Widrige erträglich werden und das aus Liebe zu Ihm Ertragene gefallen. Aus Ihm und durch Ihn und in Ihm sind alle Dinge. Auf Ihn muss jede Absicht, jede Handlung, Rede, Lesung, Bitte, Betrachtung und Beschaulichkeit hingehen. Durch Ihn wird dir Heil verliehen und das ewige Leben bereitet. Um Seinetwillen sollst du nicht fürchten zu sterben, noch dich weigern zu leben; denn Seiner Treue sollst du dich mit Vertrauen hingeben und Seiner Ehre oder Liebe nichts vorziehen.

Herr Jesu, sei Du meine Zuflucht und mein einziger Trost. Sei Du mein besonderer Freund, weil alle meine Freunde mich verlassen haben. Sei Du meine Hoffnung, weil die Hoffnung auf Menschen eitel ist. Sei Du meine Freude und die Fröhlichkeit meines Herzens, weil alle Freude der Welt ganz gehaltlos ist. Sei Du mein Führer, mein Gefährte auf diesem Wege, den ich wandle, weil die Menschen bald hinscheiden und mir entrissen werden. Auf Dich geht meine Lobpreisung, in Dir ist mein Trost und mein ganzes Vertrauen. Sei Du mein Leben, und gelte es mir als großer Gewinn, für Dich zu sterben. Du bist mein Geliebter, von dem ich in Ewigkeit nicht getrennt werden will.


Aus: Thomas v. Kempen, Nachfolge Christi, 2. Buch, 7. Kapitel, Kevelaer 1927, S. 145ff.



 

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