Ohrenbeichte oder Beichtandacht?

Wie in unserem Artikel über die Bekehrung der Germanen kurz angedeutet (vgl. S.9), könnte man, wenn man moderne Geschichtsbücher zur Hand nimmt, den Eindruck gewinnen, die geheime Beichte, auch Ohrenbeichte genannt, sei eine Praxis, die von den Laien erst seit dem ausgehenden Altertum und anbrechendem Mittelalter praktiziert worden sei. Mönchspriester als Seelsorger und Seelenführer sollen die private, geheime Buße und die Privatbeichte, die in den Klöstern schon vorher in Übung war, auch auf die Laienwelt übertragen haben, da sie eine bessere Seelenführung ermöglichte. Die altkirchliche Bußpraxis dagegen habe für die Laien nur die öffentliche Kirchenbuße vorgesehen.
Auch von protestantischer Seite wurden ähnliche Behauptungen aufgestellt. So rühmt sich Luther, “die Gewissen von der unerträglichen Last des bepstlichen Gesetzes erlöst und frei gemacht” zu haben, “darinnen geboten ist, alle Sünden zu erzelen...” (Sendbrief an die zu Frankfurt, Wittemberg. Teutsche Ausgabe, Thl. 2. S. 2526). Auf der anderen Seite wollte er aber doch in gewisser Weise die Beichte noch beibehalten, aber nur für die Unverständigen, als “Erzelung etlicher Sünden, die am meisten drücken...”. Damit hat er aber die Notwendigkeit der Beichte geleugnet und auch die “Erzelung etlicher Sünden” war keine Beichte im eigentlichen Sinne des Wortes mehr, da ihr keine Absolution folgte. Man erzählte die Sünden nur, weil man sich nach einem Gespräch oft erleichtert fühlt. Man sprach sich sozusagen die Sorgen von der Seele. Aber vergeben, bzw. nur zugedeckt, waren – nach der Lehre Luthers – die Sünden ja schon dadurch, dass der Pönitent glaubte, dass sie ihm vergeben seien.
Calvin behauptete, die Beichte sei im christliche Altertum in das Belieben des jeweiligen Gläubigen gestellt gewesen. Erst später sei sie dann vom Patriarchen Nectarius von Konstantinopel ganz abgeschafft und erst auf dem vierten Laterankonzil als notwendig erklärt worden.
Aktuell ist dieses Thema auch angesichts der sog. Bußgottesdienste, die in der Konzilskirche heute gerne abgehalten werden. Es mag zugegeben werden, dass Rom offiziell erklärt hat, solche Gottesdienste ersetzten die Beichte nicht und auch nach Teilnahme an einem Bußgottesdienst sei daher zur Sündenvergebung eine Beichte noch notwendig. Trotzdem werden – aufgrund der von Rom geduldeten Beichtpraxis in den einzelnen Pfarreien – die Gläubigen zum Teil im Unklaren darüber gelassen, ob eine (Ohren-)Beichte überhaupt noch notwendig ist, wenn man sich im Rahmen eines Bußgottesdienstes allgemein als Sünder bekannt und seine Sünden bereut hat.
Eine Antwort auf diese Frage kann man auf zweierlei Weise finden: einmal kann man sich überlegen, was denn die Beichte eigentlich ist und welche Eigenschaften sie daher notwendig haben muss; auf der anderen Seite kann man sich das Zeugnis der Väter ansehen. Man wird feststellen, dass aufgrund dieser Aussagen die heutige Praxis der Ohrenbeichte schon im frühen Christentum vorausgesetzt werden muss.
1. Das Wesen der Beichte:
Im Evangelium lesen wir (Jo 20, 21-23), wie Jesus nach Seiner Auferstehung Seine Apostel sendet, wie auch Sein Vater Ihn gesandt hat. Er hauchte sie an und sprach: “Empfanget Heiligen Geist. Wem immer ihr die Sünden nachlasst, dem sind sie nachgelassen; wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten.” Damit hat Jesus ihnen die Vollmacht gegeben, Sünden zu vergeben und in diesem Zusammenhang zu entscheiden, wer der Vergebung würdig ist und wer nicht. Die Apostel üben hier eine Richterfunktion aus. Die Beichte ist das Gericht. Der Gegenstand, der zur Untersuchung vorgelegt wird, sind vor allem die Sünden, die vergeben oder behalten werden sollen, aber auch die reuige Gesinnung des Sünders, die sich im demütigen Bekenntnis zeigt und deren Vorhandensein oder Nichtvorhandensein darüber entscheidet, ob die Sünden vergeben werden oder nicht. Das Sündenbekenntnis ist, was im Gericht die Anklage und das Zeugenverhör ist. Zugleich ist die Selbstanklage aber – insofern sie reuiges Bekenntnis ist – auch die Schutzrede des eigenen Advokaten und Motiv für Freisprechung.
Nähmen wir der Beichte das Bekenntnis, so wäre ein Urteil des Richters bzw. des Priesters nicht mehr möglich, da er weder um den Sachverhalt bescheid wüsste, über den er richten soll, noch an dem aufrichtigen und demütigen Bekenntnis der einzelnen Sünden die Reue des Sünders über diese Sünden erkennen könnte.
Weiter muss der Beichtvater als Richter aber ja auch noch über die Art und Größe der Genugtuung entscheiden. Auch das ist nur möglich, wenn er vorher Möglichkeit gehabt hat, die Anklage und das Zeugenverhör anzuhören.
Wir sehen also, dass das Bekenntnis einzelner Sünden notwendig ist, damit die Apostel und ihre Nachfolger dem ihr von Christus gegebenen Auftrag, Sünden nachzulassen oder zu behalten, entsprechen konnten bzw. können. Indem also Jesus den Aposteln im Evangelium den entsprechenden Auftrag zur Sündenvergebung erteilt hat, hat Er das Sakrament der hl. Buße, die (Ohren-)Beichte, eingesetzt!
Wenn mittelalterliche Theologen, wie Hugo von St. Viktor, Bonaventura oder Alexander von Hales von einer Einsetzung der Beichte durch die Kirche sprechen, so wollen sie damit lediglich sagen, dass die Kirche die Beichtpflicht für die Gläubigen verbindlich aufgestellt hat, was ja nur eine praktische Anwendung und Erfüllung des Auftrages ist, der ihr von Christus gegeben wurde. Sie wollen nicht behaupten, dass die Beichte als Sakrament von der Kirche erfunden worden sei.
2. Das Zeugnis der Väter:
Dass die Beichte schon in der frühen Kirche existiert hat und zwar als konkretes Bekenntnis der einzelnen Sünden gegenüber dem Priester, wird auch aus zahlreichen Schriften der Kirchenväter deutlich.
So sagt z.B. Origenes (185-253) (Homilia 17 in Lucam 2, 35):
“Wenn wir unsere Sünden nicht nur vor Gott, sondern auch vor denjenigen bekannt haben, welche unsere Wunden und Sünden heilen können, so werden unsere Sünden ausgetilgt werden.”
Auch an anderen Stellen (Hom.2 in Ps. 37, n. 6; Hom. 2 in Levit. n. 4; in Num. Hom. 10,1) zieht er den Vergleich des Priesters mit dem Arzt, sowie des Sünders mit dem Kranken, der nur geheilt werden kann, wenn er seine Wunden dem Arzt zeigt und der Krankheitserreger entfernt wird.
In einer seiner Predigten (Hom. 3 in Levit. n. 4) verlangt er außerdem ausdrücklich als Mittel zur Rechtfertigung das Bekenntnis aller, auch der geheimsten Sünden, denn nur durch diese Anklage seiner selbst werde man der Bosheit des Teufels, des Feindes und Anklägers, ausweichen.
Cyprian (200-258) bezeugt, dass unsere Sünden (zumindest die schweren) durch die Beichte vergeben werden müssen – und zwar durch einen Priester - insofern er die Meinung verurteilt, die Martyrer und Bekenner könnten Sünden vergeben (De lapsis, cap. 18) und die ohne vorhergegangene Beichte und Lossprechung empfangene heilige Kommunion (im Stande der schweren Sünde) als eine Gewalttat am Leibe und Blute des Herrn bezeichnet (a.a.O. Cap. 16).
In Cap. 29 fordert er jeden dazu auf, seine Sünden zu beichten (singuli delictum suum – jeder einzelne seine eigene Sünde), denn wenn das Bekenntnis abgelegt werde, werde durch den Priester Rechtfertigung und Nachlassung der Sünden bei Gott erlangt.
Unter den Schriften des hl. Athanasius findet sich eine Predigt, die zwar wohl nicht von ihm selber stammt, aber doch ein wichtiges Zeugnis der damaligen Zeit darstellt (ed. Migne III, 183). Es heißt dort:
“Sind deine Fesseln nicht gelöst, so übergib dich den Jüngern Jesu. Es sind nämlich solche vorhanden, welche uns davon befreien, indem sie dazu die Vollmacht vom Herrn empfangen haben: Was immer ihr auf Erden binden werdet ...”
Hilarius (315-367) erkennt den Aposteln und ihren Nachfolgern nach Mt 18,18 die Macht zu, zu binden und zu lösen, sagt aber auch, dass es für die Ausübung dieser Macht notwendig sei, dass der Sünder seine Sünden bekenne (in Matthäum 18).
Basilius (330-379) sagt (Reg. Brev. 228):
“Es ist notwendig, dass denjenigen die Sünden eröffnet werden, denen die Verwaltung der Geheimnisse anvertraut ist.”
Papst Clemens I (88-97) lehrt nicht nur (Epistula ad Cor. 1,51), es sei besser, die Sünden zu bekennen, als sein Herz zu verhärten, sondern es kommt bei ihm (1,52) auch zum Ausdruck, dass das Bekenntnis der Sünden von Gott gefordert sei.
In einer Erzählung des hl. Irenäus (seit 177 Bischof von Lyon) wird von Frauen berichtet (Adv. haeres. 1, 13, 5 u. 7), die zur Unzucht verführt worden waren, sich aber zu beichten schämten und daher in Verzweiflung gerieten. Auch diese Erzählung setzt die Übung des Beichtens und die Überzeugung von ihrer Notwendigkeit voraus.
Tertullian (160-225) spricht in seinem Buch De poenitentia von falscher Scham, die die Menschen daran hindert, ihre Sünden vor Menschen zu bekennen und sie daher ins Verderben führt.
Dass sich die angeführten Zitate auf ein geheimes Bekenntnis allein vor dem Priester beziehen und nicht etwa auf ein öffentliches vor der Gemeinde, ergibt sich aus folgendem:
Erstens wurde ein öffentliches spezielles Bekenntnis nicht von jedem unterschiedslos gefordert. Die Kirche hat bei der Beurteilung der Fälle große Sorgfalt walten lassen, um jeglichen Anstoß zu vermeiden. Daher wurde eine öffentliche Buße in der Regel auch nur für öffentliche Vergehen verlangt, und auch da nur für solche kanonischer Art.
Dazu kommt, dass z.B. Origenes (Hom. 2 in Ps. 37, n. 6) das öffentliche Bekenntnis ganz klar von dem geheimen unterscheidet. Er sagt, der geistig Kranke (Sünder) solle sich einen erfahrenen Arzt wählen. Wenn dieser Priester erkannt haben sollte, dass sein Vergehen von solcher Art sei, dass es angebracht sei, es öffentlich bekannt zu machen (zur Erbauung der anderen und zur eigenen Genesung), dann möge er seinem Rat folgen. Dieses Urteil solle aber erst nach guter Überlegung eines erfahrenen Arztes gefällt werden.
Es ist also zu sehen, dass die geheime und nicht die öffentliche Beichte die Regel war und dass erstere der letzteren vorausging.
Es wäre auch äußerst unklug von der Kirche gewesen, ein öffentliches Bekenntnis immer unterschiedslos vorzuschreiben.
Überlegen wir uns nur, was es für Konsequenzen gehabt hätte, wären alle, auch die geheimsten Sünden (von denen in den oben aufgeführten Zitaten ja auch die Rede ist) öffentlich bekannt worden: Ärgernis in den Gemeinden, Streit und Unfrieden in den Familien, unter Umständen für den Pönitenten die Gefahr, dem weltlichen Arm zu verfallen. Viele wären von einer so harten Handhabung der Bußpraxis sicherlich vom Sakrament und seiner heilsamen Wirkung abgeschreckt worden. In anderen Fällen hätte ein öffentliches Bekenntnis möglicherweise sogar eine Versuchung für die Anwesenden dargestellt und wäre somit unter Umständen Anlass zur Sünde gewesen.
Nach Meinung der Protestanten hat die katholische Kirche erst frühestens unter Leo I. (440-461) die Beichte eingeführt. Und sie hat das mit dem Anspruch getan, dass die Beichte ein von Gott eingesetztes Sakrament sei, zu dessen Empfang alle Gläubigen ohne Ausnahme verpflichtet sind. Ist es denkbar, dass die Menschen sich eine solche Verpflichtung ohne Widerspruch hätten auferlegen lassen, wenn die Praxis der Beichte nicht eine schon von Jesus eingesetzte gewesen wäre, die sich über die Jahrhunderte erhalten hatte?
(nach: Wetzer und Welte, Kirchenlexikon, Herder 1887, “Beichte”)

P. Johannes Heyne

 

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