Die Bedeutung der Wahrheit in der Religion

Das in unserer Zeit wieder verstärkte Auftreten islamistischer „Gotteskrieger“, aber auch andere „religiöse“ Missstände, werden immer wieder gern zum Anlass genommen, „Religion“ überhaupt als schädlich für den Menschen hinzustellen. Als Heilmittel wird „Aufklärung“ angepriesen, die den Menschen aus den Fängen der Religion lösen und zu einem „befreiten“ Leben führen soll, das nicht mehr vom Anspruch absoluter Wahrheit, sondern vom Verzicht auf die Wahrheit geprägt sein solle.
Auffallend ist, dass eine wirklich kritische und differenzierende Diskussion der Frage wahrer Gottesverehrung dabei gerne vermieden wird. Statt dessen werden die verschiedenen Religionen als letztlich ähnlich wertvoll oder wertlos nebeneinandergestellt. Und von denen, die so sehr „Aufklärung“ fordern, wird so nicht wirklich Aufklärung betrieben, sondern eher Verschleierung der Probleme.
Denn wer zum Verzicht auf die Wahrheit überredet, wie kann der „Aufklärung“ für sich in Anspruch nehmen? Kann der Mensch als Vernunftwesen, auf den solche „Aufklärer“ so stolz sind, wirklich die Frage nach dem Woher und Wohin, nach dem Sinn und dem Guten, letztlich nach dem absoluten Urgrund aller unserer Vernunft ohne jede Bemühung um Klärung einfach offen lassen?
Der Mensch ist bei diesen letzten, doch alles entscheidenden Fragen, immer über sich hinaus verwiesen. Er kann nicht selbst Wahrheit und Wissen erzeugen, nicht selbst die Wirklichkeit nach seinem Belieben erschaffen.
Doch wir beziehen uns in all unserem Tun und Denken immer auf Wahrheit und Wissen, wir haben in uns ein Wissen vom Wissen selbst, und damit auch von Gut und Böse, und zwar im absoluten Sinn, sind immer auf absolute Wahrheit, also auf Gott hin, ausgerichtet.
Re-ligio, also Rück-bindung an eine höhere, absolute, Wirklichkeit, welche das sinnliche Erkenntnisvermögen übersteigt, gehört somit wesenhaft zur Vernunft des Menschen. Ohne diesen Rückbezug wäre unsere Vernunft überhaupt nicht denkbar.
Auch die Forderung nach Verzicht auf eine „schädliche Religion“ wird im Namen der Vernunft, letztlich im Namen einer unausgesprochenen Bezugnahme auf eine absolut geltende Forderung des Wertes der Güte und der Vollkommenheit, erhoben! Gerade die Möglichkeit, dass wir überhaupt schädliche „Religion“ oder „Religiosität“ erkennen und ablehnen können, macht uns verantwortlich und zeigt, dass wir nicht alle Religionen auf eine Stufe stellen können.
Die sittliche Fähigkeit der menschlichen Vernunft, auch wenn sie durch die Sünde verdorben ist, ruft nach der Wahrheit und fordert uns auf, nach Gott, nach dem höchsten Wert, nach dem Sinn unseres Lebens und der gesamten Wirklichkeit in voller Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit zu suchen! All unser Urteilen geht letztlich auf unsere Fähigkeit, das absolut Gute und damit Gott selbst mit Hilfe unserer Vernunft zu erkennen, zurück, auch wenn wir diese Fähigkeit - letztlich wieder unter Zuhilfenahme absoluter Kriterien - im Nachhinein wieder zu leugnen versuchen!
Leider vergisst der Mensch, der ohne Christus in der Sünde gefangen ist, gern seine Gottebenbildlichkeit, verrät Gott und die Wahrheit und gibt Eigensinn, Stolz, Vorurteil und Lüge den Vorzug. Wahre Religion und Gottesliebe, die auch immer die geordnete, vom Heiligen Geist erleuchtete Liebe zu Seinen Geschöpfen miteinschließt, wird so oft nicht mehr gefunden. Und mit den falschen Formen von Religion wird dann oft jede Bemühung um Gottesliebe verworfen.
Deshalb ist es so notwendig, dass wir uns wirklich Rechenschaft von der Wahrheit geben. Das heißt nicht nur, dass wir geschichtliche Tatsachen nicht verdrehen dürfen, wie es viele im Hinblick auf die Kirche tun, um wahre und falsche Religion gleichermaßen zu verurteilen.
Das meint noch viel mehr, dass wir Gott in Wahrheit, nicht nur zum Schein, suchen und anbeten! Gott finden können wir nur, wenn Gott uns in Seiner Gnade entgegenkommt. Doch wir müssen uns auch selbst Gott und der Wahrheit öffnen! Nur so werden wir Seine ausgestreckte Hand und Sein liebendes Herz finden!
Zu solch ernstgemeinter, von der Wahrheit selbst geforderter, Religionskritik - und damit Selbstkritik - werden wir nirgends so radikal aufgerufen wie im Christentum! Denn es ist der Anruf an uns von Gott selbst! Das ganze Alte Testament und seine Propheten, erst recht Jesus Christus selbst, rufen die Menschen zur vorbehaltlosen Selbstprüfung im Hinblick auf ihre Liebe zur Wahrheit und zu einer unerhörten Ernsthaftigkeit in der Führung ihres Lebens auf! Deshalb kann die wahre Kirche Jesu Christi niemals Wahrheit und Irrtum einfach zusammen gelten lassen, was manche heute von ihr verlangen wollen!
Jesus will uns durch Seinen Ruf zur Umkehr von aller Halbheit und Gottesferne, die immer auch Wahrheitsferne ist, befreien. Sein Anruf geht an jeden von uns, auch an scheinbar „religiöse“ Menschen, wie das Beispiel der Pharisäer, aber auch die Zurechtweisung der Jünger, zeigt. Das Licht der unermesslichen Heiligkeit Gottes, deren Wesen die Liebe ist, lässt uns unsere menschliche Unzuverlässigkeit nicht vergessen und uns somit auch nicht selbstgerecht auf andere herabblicken. Umkehr, die Gott von uns will, besteht nicht nur in einem vorübergehenden Akt. Sie muss das ganze Leben hindurch verwirklicht werden.
Und diese Grundbotschaft ist das Salz des Evangeliums, von dem Jesus will, dass es unser Leben würzen möge. Es ist das Feuer des Heiligen Geistes, das uns reinigen und für das Gottesreich bereit machen will.
Eine „schädliche“ oder unmoralische, deshalb aber auch falsche, „Religion“ oder „Religiosität“ können nur in Liebe zu Wahrheit und Sittlichkeit, letztlich also in der Liebe Gottes selbst, nicht im Verzicht darauf, bekämpft werden! Sonst würde man nur eine neue unvernünftige, damit unmoralische und schädliche Ideologie schaffen, die das Problem nicht lösen, sondern die Menschen noch weiter in Finsternis und Gesetzlosigkeit stürzen würde.
Nur die Gnade Gottes kann die Liebe in den Herzen entzünden und das Reich Gottes erscheinen lassen. Die Liebe, die den entschiedenen Einsatz für Gott, für alles Gute, für die Wahrheit und die Gerechtigkeit will, ist auch das Licht, das die Kirche durch alle Jahrhunderte trägt und von dem sie selbst getragen ist.
Trotz aller menschlichen Fehler, Sünden und Schwächen bleibt die Kirche als mystischer Leib Christi von Seiner Liebe umfangen und deshalb auch gerufen, aller Verfinsterung der sittlichen wie der religiösen Wahrheit zu widerstehen und sie zu überwinden.
Die Kirche Jesu unterscheidet sich von allen anderen Religionsgemeinschaften durch den radikalen Aufruf zur Wahrheit, die in der konkreten Erscheinung der Liebe Gottes erfahrbar wurde, der uns selbst zur Liebe ruft, da Er für uns Mensch geworden ist und unsere Sünden auf sich genommen hat, um uns wieder zu Kindern Gottes zu machen, indem wir durch Umkehr und Taufe Anteil an Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit erlangen! Nur da, wo sich die Liebe Gottes selbst geoffenbart hat, ist in Seiner Gnade auch menschliche Heiligkeit und wahre Liebe möglich.
Ohne Jesus Christus bleibt die Vernunft hingegen in Finsternis, da ihr das absolute Licht der sich selbst rechtfertigenden Güte Gottes als Anker fehlt.
Es geht hier nicht um die Frage der Sünden der Einzelnen, die man auch in der Kirchengeschichte finden kann, sondern um die Gefahr falscher „Religion“ oder falscher, weil nicht genügender, „Aufklärung“ in sich selbst. Wohin „Religionen“ und Ideologien in Feindschaft zur vollkommenen Offenbarung der Liebe Gottes kommen und wohin uns „Aufklärung“ ohne die vollkommene Liebe zur Wahrheit und zu Gott führen, hat die Welt in den letzten Jahrhunderten oft genug erfahren, man denke nur an das viel gerühmte Ergebnis solcher „Aufklärung“, die französische Revolution mit ihren abgrundtiefen Verbrechen und Gräueltaten, an Bewegungen und Ideologien des 20. Jahrhunderts, welche die Liebe Christi im Namen angeblicher „Aufklärung“ von sich wiesen, oder an die Zerrformen von „Religion“, denen wir heute begegnen..
Das Auftreten solch falscher Religionen und Ideologien, die oft auch im Namen der „Vernunft“ und des Guten auftreten, ist somit zwar Gefahr, kann aber indirekt auch zur Gnade für die Menschen werden, insofern der Schrecken des nur scheinbar „Guten“ und der nur scheinbaren „Vernunft“ auch zur Rückbesinnung auf das wahrhaft Gute, auf Gott selbst, herausfordert, den Unterschied zwischen wahrer und falscher Religion deutlicher macht.
Wenn die Kirche an Weihnachten des Kommens unseres Gottes und Erlösers gedenkt, dann lädt sie uns jedes Jahr neu ein, uns in den Wochen der Vorbereitung auf dieses Fest mit Maria, dem vollkommenen Abbild der Heiligkeit Christi, auf den Weg der Buße und der Umkehr zu begeben, den auch schon der heilige Johannes als Wegbereiter Jesu zu seiner Zeit gepredigt und gelebt hat: „Bekehrt euch, denn das Himmelreich ist nahe!“ (Mt. 3,2). Der wahre Gott will von uns gerechte Wahrheit und wahre Gerechtigkeit!
Nicht die Ablehnung Gottes und der Religion erhellt und rettet die Welt, auch nicht die Gleichmacherei von wahrer und falscher Religion und Religiosität, sondern die aufrechte, feste und wahre Hinwendung zu Gott in Glaube, Hoffnung und Liebe. Nur die Gnade der wahren Offenbarung Gottes, jedoch keine falsche Religion oder Ideologie kann Herz und Geist des Menschen mit übernatürlichem Licht erleuchten.
Und nur dort, wo Gott selbst herniedersteigt und von uns mit bußfertigem Herzen aufgenommen wird, kann die „Herrlichkeit des Herrn“ (Lk. 2,9) erstrahlen und wird unser Herz wie das der Hirten von Bethlehem auch heute die Freude erfahren, „die allem Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, der Messias und Herr ... Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt ist und in einer Krippe liegt ... Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden den Menschen, die guten Willens sind!“ (Lk. 2,11ff.).

Thomas Ehrenberger

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