Das Geheimnis unserer Erlösung

Die Erlösung des Menschen durch "Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, der für uns Menschen und um unseres Heiles willen vom Himmel herabgestiegen ist" (Credo), ist das alles überragende Ereignis der Menschheitsgeschichte und das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens.
Was ist aber die Erlösung und die Gnade, die uns Christus geschenkt hat und für die Er für uns Sein Blut vergossen hat? Wie viele verstehen noch, was wir am Karfreitag, an Ostern, oder am Fest des Kostbaren Blutes (1.Juli) feiern? Es ist für jeden wahren Jünger Christi eine wichtige und gnadenvolle Aufgabe, sich die Erlösungstat Christi immer wieder dankbar bewusst zu machen, zumal sie immer wieder fehlgedeutet, missachtet oder geleugnet wird.
Wozu ist Gottes Sohn Mensch geworden, wofür hat Er Sein Leben hingegeben? Diese Frage wurde neuerdings brisant, als der „Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz“ Robert Zollitsch am Karsamstag in der Sendung „Horizonte“ (Hessischer Rundfunk 11. 4. 2009, 16 Uhr) auf die Frage, ob man heute noch sagen könne, Jesus sei für die Sünden der Menschen gestorben, antwortete, Jesus sei „nicht deswegen für die Sünden der Menschen gestorben, weil Gott ein Sündopfer, einen Sündenbock, gleichsam gebraucht hätte“, vielmehr habe Er sich „mit uns Menschen, mit unserem Leid, mit unserem Tod bis zum Letzten solidarisiert“.
Als der Journalist nachbohrte, „Sie würden es jetzt nicht mehr so formulieren, daß Gott quasi Seinen eigenen Sohn hingegeben hat, weil wir Menschen so sündig waren?“, da kam als Antwort: „Nein. Er hat Seinen eigenen Sohn in Solidarität mit uns bis in diese letzte Todesnot hineingelassen, um zu zeigen: Soviel seid ihr mir wert, ich geh mit euch, ich bin ganz bei euch in jeder Situation.“
Hier stellte sich – nicht nur für Christen, die Frage, ob eine solche Antwort wirklich genügt, ob sie das wiedergibt, was die Heilige Schrift und die Überlieferung, was Jesus und die Apostel selbst gelehrt haben. War die Tat Jesu nur eine Tat der Solidarität, hat Er nur mit uns gelitten, etwa damit wir im Leiden nicht allein sind, oder war Sein Leiden und Sterben auch ein Akt, den Er freiwillig für uns auf sich genommen hat, um uns aus Sünde und Tod zu erlösen, wie es die Kirche immer gelehrt hat?
Die Zurückweisung der Karikatur eines Gottes, der Seinen Zorn dadurch besänftigen will, dass Er ein Opfer für sich sucht, darf nicht dazu führen, dass man die Erlösungstat Christi selbst verzeichnet oder gar leugnet.
Beunruhigend hier ist vor allem das „Nein“, das zahlreichen Aussagen der Heiligen Schrift entgegensteht. Denn lässt man diese Antwort so stehen, so würde dies bedeuten, Jesus habe nur mit uns gelitten, aber nicht auch für uns und für unsere Erlösung von der Sünde. Dies würde die eigentliche Not des Menschen, aus der er sich selbst nicht erretten kann, außer Acht lassen, den Kern der ganzen Frohbotschaft und ihre Tiefe verfehlen.
Die ganze Heilige Schrift, Jesus selbst und Seine Apostel, sprechen eine andere Sprache. Deshalb musste Pius X. bereits vor über 100 Jahren den Irrtum der Modernisten zurückweisen, welche behaupteten, die Lehre vom Sühnetod Christi sei nur paulinisch, nicht aber als dem Evangelium gemäß (Denz. 2038).
Der heilige Paulus weist darauf hin, dass er nur „weitergegeben“ hat, was er „selbst empfangen habe: Christus ist der Schrift gemäß für unsere Sünden gestorben“ (1Kor. 15, 3). Die Frohbotschaft von der Erlösung von der Sünde ist nicht eine Lehre von Paulus allein, sondern von allen Aposteln: „Christus ist einmal für unsere Sünden gestorben, der Gerechte für Ungerechte, damit Er uns zu Gott hinführe“ (1Petr. 3, 18). „Er trug unsere Sünden selbst an Seinem Leib auf das Holz hin, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben“ (1Petr. 2, 24). „Ihr wisst, dass Er erschienen ist, um unsere Sünden hinwegzunehmen (1Joh. 3,5), „damit Er die Werke des Teufels zerstöre“ (1Joh. 3,8). „Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns zuerst geliebt und Seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat“ (1Joh. 4, 11). „Er ist die Sühne für unsere Sünden, und nicht allein für die unsrigen, sondern auch für die der ganzen Welt“ (1Joh. 2,2). „Ihm, der uns geliebt und uns durch Sein Blut von unseren Sünden erlöst, der uns zu einem Königtum, zu Priestern für Gott, Seinen Vater, gemacht hat, Ihm gebührt die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.“ (Offbg. 1,5f.).
Dies sind nur einige unter weit mehr Schriftstellen, die zeigen, dass das Leiden und der Tod Jesu eine viel größere und tiefere Bedeutung haben als bloß, dass Er sich mit unserem Leiden und unserem Tod solidarisiert, wenngleich auch dies bedeutsam ist, jedoch nur den Ausgangspunkt unserer Erlösung und Seines eigentlichen Heilshandelns bildet.
Jesus bereitete Seine Jünger auf Sein Leiden und Seinen Tod immer wieder vor. Doch sie blieben zunächst ohne Verständnis dafür (vgl. Lk. 18, 34). Jesus sagt erstaunlich deutlich voraus, dass „der Menschensohn nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und Sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele“ (Mk. 10, 45)!
Hier wird schon vorweggenommen, was Jesus dann beim letzten Abendmahl spricht: „Dies ist mein Blut des (Neuen) Bundes, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt. 26, 28).
(Anmerkung: Der griechische Urtext dieser und aller parallelen Stellen des Neuen Testamentes zeigt auch hier deutlich, dass Jesus immer von euch oder von vielen, nicht von allen spricht, wie es die landessprachlichen Übersetzungen der „Neuen Messe“ fälschlich wiedergeben, weil nicht alle der Einladung zum gnadenhaften Bundesschluss folgen, um den es bei diesen Aussagen geht - obgleich Jesu Erlösungswerk durchaus für alle Menschen genügen würde! Dies hat die Kirche immer wieder so erklärt, vgl. z.B. den Katechismus des Konzils von Trient, neu hrsg. Kirchen/Sieg 1970, 2. Teil, 4. Hauptstück, Nr. 24: „Es ist also - Anm: bei der Konsekration - mit Recht geschehen, dass nicht gesagt wurde 'für alle', da hier bloß von den Früchten des Leidens die Rede war.“
Eine Richtigstellung dieser falschen Übersetzung „für alle“ wurde übrigens am 17. November 2006 auch von Rom für die „nächsten Übersetzungen des Römischen Missales“ angekündigt und den Bischofskonferenzen aufgetragen, durch eine entsprechende Katechese die Gläubigen darauf vorzubereiten – vgl. Beiträge Nr. 71, „Doch der Wortlaut der Wandlungsworte lautet 'für viele'“. Leider hat man davon aber inzwischen praktisch nichts mehr gehört!).
Schon der heilige Johannes der Täufer kündet diese Erlösung durch Jesus Christus an, mit Worten, welche die Jünger dann nach dem Tod und der Auferstehung Jesu von der Erfüllung der alttestamentlichen Verkündigung her erst richtig verstehen: „Das ist das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“ (Joh. 1, 29).
Die Jünger haben das alles zunächst nicht wirklich begriffen. So musste Jesus selbst auch nach Seiner Auferstehung Seinen verwirrten Jüngern das Verständnis für Sein Leiden und Seinen schmachvollen Tod nochmals neu erschließen: „'Musste denn der Messias nicht dies leiden und so in Seine Herrlichkeit eingehen?' Und Er begann mit Moses und allen anderen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften sich auf Ihn bezieht“ (Lk. 24, 26f.).
Erst da beginnen sie, aufmerksam zu werden und den Sinn von Gottes heiligem Liebesplan allmählich zu begreifen: „Brannte nicht unser Herz in uns, als Er unterwegs mit uns redete und uns die Schrift erschloss?“ (Lk. 24, 32).
Warum musste der Messias leiden oder warum hat Er gelitten? Mit welchen Schriftstellen hat Jesus wohl Seinen Jüngern den Sinn Seines Leidens begreiflich gemacht?
Man wird hier vielleicht an Psalm 22 denken, den Jesus am Kreuz angestimmt hat („Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“), in dem Seine ganze scheinbare Gottverlassenheit, der Spott, Sein Leiden am Kreuz, besonders aber die Rettung durch Gott am Ende vorausgesagt ist, oder an andere Schriftstellen, die im Leiden und in der Auferstehung Jesu ihre eigentliche Vorherbedeutung erkennen lassen.
Jedem, der das Alte Testament ein bisschen kennt, werden aber auch besonders die Stellen bei Isaias 52 – 53 einfallen, wo von einem geheimnisvollen „Gottesknecht“ die Rede ist, der viel zu leiden hat und stirbt, der aber am Ende doch siegreich bleibt und sogar den Tod überwindet.
Es sind diese Zeilen vom Gottesknecht, an welche der Diakon Philippus bei seinem Gespräch mit dem Äthiopier anknüpft, der sie liest, aber nicht versteht, und mit denen Philippus ihm die Frohbotschaft von Jesus offenbart und erläutert (Apg. 8, 26 ff.).
Gott sagt hier von diesem Seinem Knecht: „Siehe Erfolg hat mein Knecht, er wird emporsteigen, wird hoch und gar sehr erhaben sein“ (Is. 52, 13). Im Hinblick auf sein Ansehen bei den Menschen aber wird gesagt: „Verachtet war er, von Menschen gemieden, ein Mann der Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Antlitz verhüllt, war er verachtet, so dass wir ihn nicht schätzten.
Jedoch unsere Krankheiten trug er, unsere Schmerzen hat er auf sich geladen. Wir aber hielten ihn für einen Getroffenen, von Gott Geschlagenen und Niedergebeugten. Und doch wurde er durchbohrt für unsere Frevel, zerschlagen wegen unserer Missetaten. Züchtigung für unser Heil lag auf ihm, durch Seine Wunden ward uns Heilung zuteil... ihn ließ der Herr treffen unser aller Verschuldung.
Man misshandelte ihn, und er beugte sich, er tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und gleich einem Schaf, das vor seinen Scherern verstummt. Nein, er tat seinen Mund nicht auf“ (Is. 53, 3ff.). - Diese Stellen machen die Aussage von Johannes dem Täufer über „das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt“ (Joh. 1, 29), auf das er gewartet hatte und auf welches er vorbereiten wollte, verständlich.
Sie sind aber noch in anderer Hinsicht bedeutsam. Nicht nur, dass hier das Leiden und die Hingabe Christi deutlich vorweggenommen und Seine alles überragende Heiligkeit klar bekundet wird, es wird auch ausdrücklich von Sühne für unsere Sünden und von einer Erlösung durch Seine Wunden gesprochen: „Durchbohrt für unsere Frevel, ... Züchtigung für unser Heil, ... durch Seine Wunden ward uns Heilung ...“.
Am meisten aber überrascht, dass ihm trotz des erlittenen Todes Heilung und neues Leben verheißen wird: „Er war abgeschnitten aus dem Land der Lebendigen, ob der Missetat Seines Volkes zu Tode getroffen. Man gab ihm bei Verruchten sein Grab ... und doch hat er kein Unrecht getan, kein Trug war in seinem Mund.
Der Herr jedoch fand Gefallen an seinem Zerschlagenen, er heilte ihn, der sein Leben als Sühnopfer hingab... Durch seine Erkenntnis wird als Gerechter mein Knecht die Vielen rechtfertigen, und ihre Sünden wird er auf sich laden... mit den Zahlreichen wird er den Erwerb teilen, dafür, dass er sein Leben in den Tod dahingab und sich unter die Frevler zählen ließ. Und doch trug er die Sünde der Vielen und trat für die Abtrünnigen ein“ (Is. 53, 8ff.).
Das Tragen der Sünde und die Erlösung von ihr ist viel mehr als bloß Solidarität im Leiden, die auch ein bloßer Mensch bekunden könnte! Leid und Tod sind ja nur Begleitumstände eines viel größeren Übels, das in die Schöpfung eingedrungen ist und sie vergiftet: Die Verhaftung an das Böse durch die Sünde, an der jeder Mensch seit Adam Anteil hat und aus der er sich nicht mehr selbst befreien kann, da das Böse ihn scheinbar überall umgibt und festhält, obgleich er eigentlich für die Liebe und das Gute erschaffen ist.
„Ich unglückseliger Mensch! Wer erlöst mich von diesem todgeweihten Leibe? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“ (Röm. 7,24), ruft deshalb der heilige Paulus aus.
Die Sünde gebiert durch ihre Liebesverweigerung den Tod, und macht auch das Leben dessen, der sündigt, lebensunwert, weil ohne Lebenswert. Der Sünder hat so eigentlich seine Lebensberechtigung verwirkt, sich durch die Sünde auch die Todesstrafe zugezogen.
Vor Jesus Christus suchten die Menschen stellvertretend für ihr eigenes Leben und im Bestreben, das Böse wieder gutzumachen, das Leben von Tieren als Sühne für die eigenen Sünden zu opfern, was natürlich nie wirklich aus der eigentlichen Sündennot des Menschen herausführen und retten konnte.
Die Rettung konnte nur von Gott selbst kommen. Die Sünde konnte zwar nicht einfach hingenommen und übergangen werden, das ist gerade wegen der Liebe Gottes nicht möglich, das Böse musste vielmehr gesühnt und wiedergutgemacht werden - was im Angesicht der Liebe und ihrer Verletzung dringend erforderlich ist!
Sühne und Sündenvergebung, die der Mensch durch stellvertretendes Tun gesucht hat, aber aus eigener Kraft nicht bewirken kann, schenkt nun Gott, indem Er sich selbst an die Stelle des Menschen begibt und durch Seine übergroße Liebe einen Weg eröffnet, das Böse überwinden zu können!
Der heilige Athanasius hat in diesem Zusammenhang immer wieder mit Recht betont, dass der Riss, den die Sünde in das Verhältnis des Menschen zu Gott gebracht hat, nur dann durch Christus überwunden werden kann, wenn Er in Wahrheit Gott und Mensch zugleich ist. Nur so kann Er in stellvertretender Sühne für uns eintreten, nur so kann Er uns aber auch zugleich Anteil an der wahren Liebe Gottes schenken, die der Mensch nur in der Gnade erlangen, nicht aber aus sich selbst hervor bringen oder schenken kann!
Christus ist so „Mittler eines neuen Bundes, auf dass mittels des Todes zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bunde die Berufenen die Verheißung des ewigen Erbes erhielten“ (Hebr. 9,15). Gott ist nach einem viel zitierten Gedanken der Kirchenväter deswegen Mensch geworden, damit der Mensch Gott werde, Anteil an Gott erhalten kann! Das heißt, Gott ist in Seiner Liebe dem Menschen entgegengegangen, Er schenkt und ermöglicht die Erlösung vom Bösen. Damit der neue Bundesschluss aber möglich werden kann, ist auch die Antwort der Liebe von Seiten des Menschen unverzichtbar!
Im Neuen Bund kann der Kult also nicht mehr in der Hingabe von bloßen Sachen bestehen, deren Gott ja gar nicht bedarf, welche die Sünden nicht wirklich sühnen und die auch die in der Sünde verlorene Gemeinschaft mit Gott selbst nicht wieder herstellen können. Dies war auch dem Volk Gottes im Alten Bund schmerzlich bewusst, obgleich sie als Kultopfer und im Zusammenhang mit kultischen Reinigungsriten vorgeschrieben waren: „An Brand- und Sühnopfern hast du kein Wohlgefallen“ (Ps. 40, 7).
Christus hingegen ist erschienen, um uns aus der Gottesferne wieder zur Gottesliebe zu berufen, die nur im Heiligen Geist möglich ist. Der Neue Bund besteht darin, dass Christus sich „einmal zum Opfer gebracht“ hat, „um die Sünden der vielen hinwegzunehmen“ (Hebr. 9,28). Deswegen besteht auch der Gottesdienst des Neuen Bundes in unserer Vereinigung mit dem Opfer Christi, das in jeder heiligen Messe neu vergegenwärtigt wird. Wir verbinden uns in Liebe mit dem Liebesopfer Christi und opfern unser Leben mit Ihm Gott auf, weshalb die Erlösung durch Ihn, aber nicht ohne unser Mittun und ohne unsere Antwort der Liebe, vollzogen wird.
Dieses katholische Erlösungsverständnis im ganzheitlichen, organischen, Zusammenhang mit der Bundestheologie ist völlig verschieden von der Vorstellung der Protestanten, wo die Liebe letztlich ausgeklammert bleibt und Christus unsere Sünden nur äußerlich "zudeckt", ohne dass eine innere, lebendige Beziehung zwischen Gott und Mensch verwirklicht wird!
Christus hat sich für uns schuldlos dem Gericht ausgeliefert und die Schuldenlast unserer Verbrechen getragen, obwohl Er allein ganz heilig war. Nach dem 2. Kapitel des alttestamentlichen Buches der Weisheit hat Er sich gerade in dieser äußersten Prüfung als der wahrhaft Gerechte erwiesen.
Schon Platon (427 - 347 v. Chr.) schildert im 2. Buch seines Werkes über den Staat (Politeia) eine Diskussion zwischen Sokrates und Glaukon, welcher dort behauptet, dass alle Gerechtigkeit nur geübt würde, weil sie Vorteile bringe, dass also der „Gerechte“ immer nur scheinbar gerecht sei. Es wird dabei die Frage aufgeworfen, was wohl passieren würde, wenn der Gerechte nicht nur ungerecht leiden müsste, sondern dem äußeren Anschein nach als Verbrecher dastehen würde, ja gegeißelt und gekreuzigt würde (!).
Es wird dann zu zeigen versucht, dass auch dann der Gerechte der eigentlich Glückliche wäre, weil die Gerechtigkeit immer ein hohes, in sich wertvolles Gut ist.
Was hier als Gedankenexperiment vorgestellt wird, ohne dass auch im Ernst angenommen wird, dass je eine solch wahrhafte Gerechtigkeit auf Erden möglich sein könnte, das hat sich in der Liebe Christi erfüllt!
Ja, noch viel mehr: Er hat sich nicht nur in der schwersten Prüfung als der allein Gerechte erwiesen, Er hat die Gerechtigkeit auch für uns geübt, aus Liebe schuldlos alle Schuld und damit alle Verachtung und Strafe auf sich genommen und so nicht nur wegen unserer Sünden, sondern auch für uns gelitten, um uns aus unserer Bosheit wieder den Weg zur Liebe zu eröffnen! „Er (Gott) hat den, der von Sünde nichts wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit uns durch Ihn Gottes Gerechtigkeit zuteil werde“ (2 Kor 5,21).
Erst eine solche „Solidarität“ eröffnet die wahre, entscheidende Perspektive und eine wahre Erlösung, welche diesen Namen auch verdient! Christus ist so in Wahrheit das "Lamm Gottes" des Neuen und ewigen Bundes, "das die Sünden der Welt hinwegnimmt" (Gloria), wie es der heilige Johannes der Täufer vorherverkündet hat (Joh. 1,29), und nach dem sich die Menschheit seit der Sünde Adams und Evas gesehnt hat! "Er hat uns alle Fehltritte vergeben, hat die Schuldschrift, die uns mit ihrer Anklage belastete, ausgelöscht und vernichtet, da er sie ans Kreuz heftete" (Kol.2,14)!
Die Erlösung ist also nicht Ergebnis eines Opfers an einen rachsüchtigen Gott, der durch Leiden und Tod zufriedengestellt werden will, sondern sie ist das Werk von Gottes überragender, bis zum Letzten hingebender Liebe, die sich freiwillig den Bosheiten der Menschen ausliefert, um die Menschen gerade dadurch aus ihrer Bosheit zu befreien und zur Liebe zurückzurufen! „O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind Seine Ratschlüsse, wie unergründlich Seine Wege!“ (Röm. 11, 38).
Nach christlicher Lehre geht es bei allem, was Gott tut, immer um die Liebe! Wenn wir dies vergessen, können wir überhaupt nichts an Gott oder an unserem eigenen geschöpflichen Leben verstehen! Wenn wir die Bedeutung der Liebe aber erfassen und der Liebe Gottes in unserem eigenen Alltag Raum und Leben geben, dann haben wir eigentlich das Wesentliche aller Wirklichkeit immer schon begriffen und verstanden!
Dies ist das Licht und die Größe der christlichen Botschaft, dass sie uns zeigt, dass die ganze Welt in der Liebe Gottes ihren Ursprung und ihr Ziel besitzt, dass nichts sinnlos, ziellos oder grundlos ist, dass auch das Übel und das Böse in seiner ganzen Schrecklichkeit nicht das Eigentliche und Letzte ist, sondern dass es überwunden worden ist durch die Liebe Christi!
Was viele der Erlösung in Christus vorwerfen, sie zeige sich als bloßer Racheakt eines grausamen Gottes, das trifft das katholische Verständnis von Erlösung gar nicht. Solche Kritik ist vielmehr bestimmt von der protestantischen Verzerrung des Erlösungsopfers Christi, bei welcher wegen der Ausklammerung der wahren Liebe eine Strafe mechanisch auf Christus übertragen vorgestellt und die Erlösung als bloß äußerliches Freisprechen von der Strafe gelehrt wird, was natürlich jedem tieferen Bild von Gott und dem Menschen Hohn spricht, da die Liebe Gottes, zugleich aber auch die Wiederherstellung wahrer Liebesfähigkeit des Menschen letztlich geleugnet wird!
Erlösung ist aber kein bloß äußeres Zudecken von Schuld, wie Luther gemeint hat, sondern eine Umgestaltung und eine Erneuerung des ganzen Menschen in der Liebe Christi! Gott hat den ersten Schritt der Liebe zu uns getan, Er will aber auch, dass wir uns der Liebe öffnen und mit Seiner uns geschenkten Gnade selbst zu wahrhaft Liebenden, also heiligen Menschen, werden!
„Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“ (Röm 5,8). „Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat. Geliebte, wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann müssen auch wir einander lieben!“ (1Joh. 4,10; vgl. 1Joh. 4,19.].
Dies ist der Kern der neutestamentlichen Frohbotschaft, bei dem man natürlich auch von einer Solidarität Christi sprechen kann, die aber nicht auf das bloße Mitleiden und Mitsterben mit uns reduziert werden kann, sondern den Weg aus Sünde und Tod ermöglicht und dabei zugleich auch unsere Liebe ruft und herausfordert:
"Gott hat, so reich an Erbarmen, Seine große Liebe zu uns erwiesen und hat uns, die wir durch unsere Sünden tot waren, mit Christus zum Leben geführt. Durch Seine Gnade seid ihr gerettet (Eph.2,5). „Ihr wisst, dass ihr von eurem verkehrten, von den Vätern ererbten Wandel ... losgekauft seid ... durch das kostbare Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes“ (1Petr. 1,19). „So heiligt denn eure Seelen durch den Gehorsam gegen die Wahrheit zu aufrichtiger Bruderliebe“ (1Petr. 1, 22). „Legt ab alle Bosheit, alle Arglist, Heuchelei, Missgunst und alle Verleumdungssucht“ (1Petr. 2, 1).
Es geht also um ein neues Leben, das wir der Gnade der Erlösung durch Jesus Christus verdanken, um wahre Sühne und Gerechtigkeit, um die Überwindung von Sünde und Tod, nicht bloß um Solidarität in unserem Leiden: „In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade“ (Eph.1,7).
Nach wiederholter Nachfrage in oben angeführtem Interview räumte Zollitsch dann doch irgendwie die Möglichkeit ein, dass es bei Jesus auch darum gegangen ist, „das mitzutragen, was ich verschuldet habe, auch was ich verursacht habe an Bösem, um damit zugleich das nun hinaufzunehmen in die Welt Gottes und damit auch mir den Weg aus Sünde, Schuld und aus dem Tod zum Leben zu zeigen“.
Eine klare Aussage über wahre Erlösung oder Sühne durch Christus für uns wurde damit aber wieder vermieden.
Möglicherweise durch die Unruhe, die seine Aussagen ausgelöst haben, zu einer Erklärung, vielleicht auch zum Nachdenken, veranlasst, schnitt er das Thema dann am 10.5. 2009 im „Konradsblatt“, dem Bistumsblatt seiner Freiburger Diözese, erneut an.
Der christliche Glaube scheut sich nicht, sogar noch dem Tod des Herrn eine positive, heilsvermittelnde und sühnende Bedeutung zuzuschreiben. Christus stirbt zu Gunsten der Menschen und stellvertretend für sie. Er tut, was sie selbst nicht tun können, weil sie in die Sünde verstrickt sind. Er wird zu einem Opfer menschlicher Bosheit, das gedemütigt und gequält am Kreuz stirbt. Stellvertretend für die Menschen überlässt er sich als Opfer der rettenden und wirksamen Liebe Gottes, die tiefster Grund seiner Lebenshoffnung ist. So öffnet er in unserer gewalterfüllten, sündigen Welt den Zugang zum Leben Gottes.
...Der Vater, dem Jesus seinen Geist sterbend übergibt (vgl. Joh 19, 30), hat den Sohn liebevoll aufgenommen. Alles hat sich zum Guten gewendet: Der geliebte Sohn (vgl. Mk 1, 11) lebt mit dem Vater in der Einheit des Geistes. Durch unsere Verbundenheit mit dem Herrn haben wir an diesem Leben Anteil, uns steht damit Gottes Lebensraum weit offen. Christus ist wirklich der Gute Hirt, dem wir uns anvertrauen und der uns behütet, er ist wirklich das Brot des Lebens und der Weinstock, an dem unser Leben gute Frucht tragen kann.
Dank Jesu Christi Leben und Sterben haben wir Zugang zum Vater. So hat die Menschheit Anteil am Leben Gottes, der im Leben und Sterben seines Sohnes die Menschen mit sich versöhnt und ihnen ein neues, bleibendes Leben geschenkt hat. (Konradsblatt Nr. 19 vom 10.05.2009).
Angesichts der Aussagen des ganzen Neuen Testaments kann man das Sühnopfer Christi und die Erlösung von der Sünde auch nicht ernsthaft leugnen, wie wir gesehen haben. Darauf sollen wir uns immer wieder neu besinnen. Allerdings bleibt die Frage, weshalb bei oben erwähntem Interview dieser Sachverhalt von Zollitsch so entschieden ausgeschlossen wurde, bzw. weshalb dieser Ausschluss nicht auch wieder direkt zurückgenommen wurde. Gefährdet doch eine modernistische Ablehnung des Sühnopfers das ganze christliche Leben, das auf dem Neuen Bund in diesem Opfer gründet. Eine neue Theologie, welche sich der überlieferten Form des Glaubens und der Liturgie in den Weg stellen möchte, verliert das Wesentliche des christlichen Glaubens immer mehr aus dem Blickfeld: Die Erlösung von der Sünde und das neue Leben in der Liebe Christi, was beides im Kreuzesopfer gründet und auch uns zur Liebe und zur Mitopfern aufruft!
Die jahrtausendealte Liturgie steht hier ganz auf dem Boden der Heiligen Schrift. Wo jedoch die Sünde ausgeklammert, das Opfer Christi vergessen und unser Mitopfern in Seiner Liebe nicht mehr gewollt werden, ist auch der Neue Bundesschluss mit Gott in Christus nicht mehr möglich! Aus Religion wird bloße menschliche, tote, "Tradition"! In diesem Sinn ist der "Modernismus" der eigentlich gefährliche "Traditionalismus", wo es nicht mehr um die Beziehung zu Gott geht, sondern um das bloße Festhalten an irgendwelchen überkommenen, irrationalen Riten und Vorstellungen!
Nachfolge Christi bedeutet nicht nur irrational "glauben", wie es Protestanten und Modernisten verstehen, sondern im Glauben die Liebe zu verwirklichen, zu Gott, zum Nächsten und zur Wahrheit!
Die wahre Liebe aber finden wir im Opfer Jesu Christi! Dies ist die katholische Lehre.
Als Katholiken müssen und dürfen wir deshalb dankbar am Opfer Christi und am Opfer der heiligen Messe festhalten und dafür durch unser eigenes Leben auch Zeugnis geben!
Lassen wir uns den Sinn für dieses wahre Leben in der Liebe Christi nicht rauben! Denn wenn man ausblendet, dass Christus zur Sühne für uns gestorben ist und deswegen beispielsweise auch nicht mehr vom Lob-, Dank-, Bitt- und Sühnopfer der heiligen Messe spricht, die ja die Vergegenwärtigung jenes Opfers Christi ist, wo wir uns in Liebe und im eigenen Opfern mit Ihm verbinden, dann verdrängt man die eigentliche Not der Welt in der Sünde und verdunkelt die Tat der Liebe Christi, die auch uns zur wahren Liebe und zur Umkehr ruft, dann nimmt man dem Leben letztlich das, worum es im Letzten nach Gottes Willen geht: die Entscheidung für Gott und für die Liebe, die Umkehr in der Gnade Jesu Christi, der uns zum neuen Leben ruft, und die Bereitschaft für den Neuen und ewigen Bund, den Er für uns durch Sein kostbares Blut gestiftet und ermöglicht hat!

Thomas Ehrenberger

 

 

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