Ein Argument für Gott nach dem heiligen Anselm

Zu allen Zeiten haben die Menschen nach Gott gefragt und nach Wegen gesucht, wie sie Ihn finden können. Manche meinten, Gott “begreifen” zu können. Doch Gott läßt sich nicht durch das schwache Korsett unserer Begriffe in den “Griff” bekommen, Er übersteigt sie alle. Andere versuchten, Gott von verschiedenen Voraussetzungen her zu “beweisen”, mussten jedoch erkennen, daß man Gott damit von anderen Dingen abhängig und zum Ergebnis einer bloßen Schlussfolgerung macht, die uns Gott aber nicht wirklich als Den, Der Er ist und als lebendiges Gegenüber offenbart.

Wichtig ist es, festzuhalten, daß ohne die übernatürliche Offenbarung Gottes unsere Erkenntnis allein mit dem natürlichen Licht unserer Vernunft äußerst bruchstückhaft bliebe. Dennoch kann man aber die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis nicht verleugnen, und die Kirche hat das auch nie getan. Allerdings vollzieht sich eine solche Gotteserkenntnis nicht sinnlich oder in bloßen Schlußfolgerungen, sondern in einer geistigen Schau, die dem Menschen, der ja das Ebenbild Gottes ist und das Bild Gottes immer schon in sich trägt, Gott unmittelbar offenbart. Wenn der Mensch “Wahrheit” denkt oder die Liebe vollzieht, hat diese Ahnung Gottes in ihm bereits erste Konturen hervorgebracht.

Die Kirche lehrt, daß die Schöpfung auf ihren Schöpfer hinweist. Wenn es unzulänglich ist, Gott als das Ergebnis einer Schlussfolgerung zu “beweisen”, so muß es bessere Argumente geben, um Ihn als Den, Der Er ist, zu erweisen. Denn die Schöpfung weist erst dadurch auf ihren Schöpfer hin, daß der Mensch das Bild Gottes in der Schöpfung wieder erkennt, das Gott schon ursprünglich und unmittelbar in der Seele offenbart. 

Der heilige Anselm von Aosta (1033 - 1109), Bischof von Canterbury, sucht in seinen Schriften “Monologion” und “Proslogion” ein Argument, das den Menschen an sein ursprüngliches Wissen von Gott erinnert und zur ursprünglichen Anschauung Gottes hinführt. Er zeigt, daß wenn wir “Gott” suchen, wir Ihn bereits umrisshaft erkannt haben. Denn wenn wir “Gott” denken als die Wahrheit und als das, von dem Größeres nicht mehr gedacht werden kann, haben wir diese letzte Wahrheit als absolut und als jede andere Wahrheit erst begründend schon erkannt. Das heißt, wir “haben” Gott bereits als Wirklichkeit über und vor jeder anderen Wirklichkeit, ohne daß wir uns das immer klar machen. Und ohne diese Wirklichkeit und den Begriff von “Wahrheit” an sich könnten wir überhaupt nichts mehr begreifen. Gott wird damit zum Ausgangspunkt jeder anderen Wahrheitserkenntnis. Nicht mehr eine untergeordnete Wirklichkeit ist die Voraussetzung der Existenz Gottes, wie es bei einem “Beweis” in Form eines logischen Schlusses der Fall wäre.

Wer gewohnheitsmäßig das menschliche Erkennen aber bloß auf den logischen Schluss beschränkt sieht, wird diese Möglichkeit der Erkenntnis Gottes zunächst vielleicht schwer verstehen. Jedoch wird auch er zugeben müssen, daß über jedem logischen Schließen eine unmittelbare Erkenntnis der Wahrheit steht, die einen Schluss erst als gerechtfertigt erscheinen läßt.

Die Gegner von Anselm warfen ihm nun vor, er argumentiere im Kreise und wolle vom Begriff auf das “Seiende” (griechisch: “On”) schließen. Man nannte dieses Vorgehen deshalb “ontologisch”, hatte es aber als bloß logischen Schluss im Sinne anderer “Beweise” missverstanden. Jedoch der heilige Anselm “schließt” nicht vom Begriff auf die Existenz, sondern er zeigt auf, daß der Mensch letztlich bei allem, was er behauptet, Gott schon voraussetzen muß als die Wahrheit, die jeder anderen Wahrheit erst ihr Wahr-Sein verbürgt. Der Mensch wird somit nur an den Grund und die Wurzel alles Denkens und Erkennens geführt, das die Unendlichkeit Gottes, aber auch den sittlichen Anspruch der Wahrheit und Liebe immer schon voraussetzt und die Antwort auf diese Offenbarung in uns darstellt. Es wird gezeigt, daß der Mensch immer schon das Bild des Absoluten, also Gottes, in sich trägt und es bei allem schon voraussetzt.

Der Ansatz des heiligen Anselm steht nicht isoliert in der Kirchengeschichte, sondern verkörpert eine lange Tradition, die schon bei den Kirchenvätern, besonders beim heiligen Augustinus zu finden ist, letztlich aber auf Jesus zurück geht, der immer wieder an die unmittelbare Erkenntnisfähigkeit des Menschen und seine unmittelbare Verantwortung Gott gegenüber appelliert: “Urteilt doch aus euch selbst, was recht ist!” Vorurteile und Hitzköpfigkeit haben die Bedeutung dieses Arguments oft nicht gesehen. Das hat auch in der Kirche immer wieder den Blick verengt und die vernunftgemäße und umfassende Darlegung der Tiefe und Fülle der christlichen Offenbarung verhindert. Wo zum Beispiel behauptet wird, es könne nichts im Geist sein, außer es sei vorher in den Sinnen, da sind Gott, das Gute, die Freiheit, das Gewissen nur noch abgeleitete Größen. Eine solche Auffassung hat zur materialistischen Weltanschauung geführt.

In jüngster Zeit scheint - trotz aller Schwierigkeiten - das Verständnis für die Bedeutung der philosophischen Bemühung um die unmittelbare und nicht mehr bloß logisch-schließende Begegnung mit Gott wieder zuzunehmen, wie neuere Veröffentlichungen zeigen, was zu Hoffnung Anlass gibt. Die Bemühung um eine tiefe und klare Erkenntnis Gottes ist in der Kirche Gottes deshalb von so großer Bedeutung, weil nur die Klarheit im Denken auch die Klarheit im Handeln mit sich bringen kann.



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